Zwischen Draghi-Bericht und der Spar- und Investitionsunion.

VS – 10/2025

Grundsätzlich ist die Ausgestaltung der Rentenpolitik in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine rein nationale Angelegenheit. Zunehmen übernimmt die Europäische Union jedoch eine aktivere Rolle und versucht, auf nationale Systeme Einfluss zu nehmen. So hat es der Rentenexperte Niko Väänänen des Finish Centre for Pensions (ETK) in seinem Artikel „European pension policy in transition“ zutreffend beschrieben. Er bezeichnet den Draghi-Bericht, die Spar- und Investitionsunion sowie die Funktionsweise der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) als einen entscheidenden Wendepunkt in dieser Entwicklung.

Schon bisher war die Rentenpolitik Bestandteil europäischer Politik. Die gesetzliche Rentenversicherung zählt zu den sogenannten Parafisci. Trotz organisatorischer Eigenständigkeit ist sie funktional Teil der öffentlichen Haushalte, da sie staatliche Aufgaben der sozialen Sicherung erfüllt. Damit unterliegt sie auch den Koordinierungsregeln der Wirtschafts- und Währungsunion. Prognostizierte Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung fließen in die Bewertung der fiskalischen Stabilität ein, zu der sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben. Zwar bleibt die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen in alleiniger Verantwortung der Mitgliedstaaten, doch zunehmend versucht die EU, auf die Systeme selbst einzuwirken.

Eine neue Rentenpolitik der EU

Laut Väänänen konzentrierte sich die europäische Rentenpolitik bislang darauf, die Freizügigkeit der Arbeitskräfte zu gewährleisten, ohne dass diese Nachteile bei der sozialen Sicherheit erhielten. Dafür sorgen seit über 50 Jahren die Regelungen zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme. Inzwischen wird laut Väänänen der Begriff „EU-Rentenpolitik“ weiter gefasst und umfasst zunehmend Initiativen und Maßnahmen auf Unionsebene, die direkt auf die Ausgestaltung der Rentensysteme der EU-Mitgliedstaaten abzielen.

Ein aktuelles Beispiel ist die von der Kommission geleitete Initiative „Spar- und Investitionsunion“. Sie soll die Entwicklung kapitalgedeckter Zusatzrenten in der gesamten EU fördern. Im Bericht von Draghi wird bemängelt, dass es den europäischen Kapitalmärkten an langfristigem Kapital mangelt, ein Mangel, der auch auf den geringen Umfang kapitalgedeckter Renten zurückgeführt wird. Deswegen wird gefordert, dass der fiskalische Spielraum für zukunftsgewandte Investitionen in den nationalen Haushalten erhöht werden soll. Außerdem wird der Aufbau kapitalgedeckter Zusatzrenten zur Stärkung der europäischen Kapitalmärkte gefordert, um mehr Kapital für Investitionen bereitzustellen. Diese Forderung zielt in erster Linie auf die zusätzliche Altersvorsorge ab. Es wird jedoch auch der Aufbau einer zusätzlichen Kapitalrücklage in den umlagefinanzierten Systemen der ersten Säule gefordert.

Aufbau- und Resilienzfazilität

Als weiteres Beispiel für eine verstärkte Einflussnahme der EU auf die nationale Rentenpolitik erwähnt Väänänen die Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), die als Reaktion auf die Corona-Pandemie eingerichtet wurde. Zusammen mit der Kommission haben sich die Mitgliedstaaten im Rahmen nationaler Aufbaupläne auf Reformziele verständigt, die auf ein grünes Wirtschaftswachstum abzielen und deren Finanzierung darauf basiert. Die Kommission überwacht die Fortschritte dieser Reformen und knüpft die Bereitstellung von Finanzmitteln an das Erreichen bestimmter Meilensteine. In der Folge haben beispielsweise Spanien und Belgien im Zuge ihrer Aufbaupläne Rentenreformen umgesetzt, ein konkretes Beispiel für die neue Steuerungsrolle der EU.

Europäische Kommission als Gatekeeper

Obwohl die nationalen Aufbaupläne formal auf den Prioritäten der einzelnen Mitgliedstaaten beruhen, übernimmt laut Väänänen die Kommission zunehmend die Rolle eines Gatekeepers für Rentenreformen. So entscheidet sie faktisch über die Auszahlung der RRF-Mittel, indem sie die Umsetzung der vereinbarten nationalen Maßnahmen prüft und überwacht. Mit dem geplanten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für den Zeitraum von 2028 bis 2034 könnte diese Rolle noch ausgeweitet werden. In den ersten Vorschlägen verweist die EU-Kommission auf die positiven Erfahrungen aus dem RRF und schlägt vor, künftige Mittelauszahlungen aus den verschiedenen Programmen und Fonds in 27 „nationalen und regionalen Partnerschaftsplänen“ (NRPP) zu bündeln. Diese sollen an die Erfüllung der gemeinsam formulierten Ziele und möglicherweise die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen von Kommission und Rat gekoppelt werden. Dies würde tatsächlich einen Wendepunkt der bisherigen EU-Rentenpolitik darstellen.