Getty-Images-frankpetersEU-Rentenpolitik im Wandel
Zwischen Draghi-Bericht und der Spar- und Investitionsunion.
VS – 10/2025
Grundsätzlich
ist die Ausgestaltung der Rentenpolitik in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union eine rein nationale Angelegenheit. Zunehmen übernimmt die Europäische
Union jedoch eine aktivere Rolle und versucht, auf nationale Systeme Einfluss
zu nehmen. So hat es der Rentenexperte Niko Väänänen des Finish Centre for
Pensions (ETK) in seinem Artikel „European pension policy in transition“ zutreffend
beschrieben. Er bezeichnet den
Draghi-Bericht, die Spar- und Investitionsunion sowie die Funktionsweise der
Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) als einen entscheidenden Wendepunkt in
dieser Entwicklung.
Schon
bisher war die Rentenpolitik Bestandteil europäischer Politik. Die gesetzliche
Rentenversicherung zählt zu den sogenannten Parafisci. Trotz organisatorischer
Eigenständigkeit ist sie funktional Teil der öffentlichen Haushalte, da sie
staatliche Aufgaben der sozialen Sicherung erfüllt. Damit unterliegt sie auch
den Koordinierungsregeln der Wirtschafts- und Währungsunion. Prognostizierte
Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung fließen in die Bewertung der
fiskalischen Stabilität ein, zu der sich die Mitgliedstaaten verpflichtet
haben. Zwar bleibt die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen in alleiniger
Verantwortung der Mitgliedstaaten, doch zunehmend versucht die EU, auf die
Systeme selbst einzuwirken.
Eine neue Rentenpolitik der EU
Laut
Väänänen konzentrierte sich die europäische Rentenpolitik bislang darauf, die
Freizügigkeit der Arbeitskräfte zu gewährleisten, ohne dass diese Nachteile bei
der sozialen Sicherheit erhielten. Dafür sorgen seit über 50 Jahren die
Regelungen zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme. Inzwischen wird
laut Väänänen der Begriff „EU-Rentenpolitik“ weiter gefasst und umfasst
zunehmend Initiativen und Maßnahmen auf Unionsebene, die direkt auf die
Ausgestaltung der Rentensysteme der EU-Mitgliedstaaten abzielen.
Ein
aktuelles Beispiel ist die von der Kommission geleitete Initiative „Spar- und
Investitionsunion“. Sie soll die Entwicklung kapitalgedeckter Zusatzrenten in
der gesamten EU fördern. Im Bericht von Draghi wird bemängelt, dass es den
europäischen Kapitalmärkten an langfristigem Kapital mangelt, ein Mangel, der
auch auf den geringen Umfang kapitalgedeckter Renten zurückgeführt wird.
Deswegen wird gefordert, dass der fiskalische Spielraum für zukunftsgewandte
Investitionen in den nationalen Haushalten erhöht werden soll. Außerdem wird
der Aufbau kapitalgedeckter Zusatzrenten zur Stärkung der europäischen
Kapitalmärkte gefordert, um mehr Kapital für Investitionen
bereitzustellen. Diese Forderung zielt in erster Linie auf die zusätzliche
Altersvorsorge ab. Es wird jedoch auch der Aufbau einer zusätzlichen
Kapitalrücklage in den umlagefinanzierten Systemen der ersten Säule gefordert.
Aufbau- und Resilienzfazilität
Als
weiteres Beispiel für eine verstärkte Einflussnahme der EU auf die nationale
Rentenpolitik erwähnt Väänänen die Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), die
als Reaktion auf die Corona-Pandemie eingerichtet wurde. Zusammen mit der
Kommission haben sich die Mitgliedstaaten im Rahmen nationaler Aufbaupläne auf
Reformziele verständigt, die auf ein grünes Wirtschaftswachstum abzielen und
deren Finanzierung darauf basiert. Die Kommission überwacht die Fortschritte
dieser Reformen und knüpft die Bereitstellung von Finanzmitteln an das
Erreichen bestimmter Meilensteine. In der Folge haben beispielsweise Spanien
und Belgien im Zuge ihrer Aufbaupläne Rentenreformen umgesetzt, ein konkretes
Beispiel für die neue Steuerungsrolle der EU.
Europäische Kommission als Gatekeeper
Obwohl
die nationalen Aufbaupläne formal auf den Prioritäten der einzelnen
Mitgliedstaaten beruhen, übernimmt laut Väänänen die Kommission zunehmend die
Rolle eines Gatekeepers für Rentenreformen. So entscheidet sie faktisch über
die Auszahlung der RRF-Mittel, indem sie die Umsetzung der vereinbarten
nationalen Maßnahmen prüft und überwacht. Mit dem geplanten mehrjährigen
Finanzrahmen (MFR) für den Zeitraum von 2028 bis 2034 könnte diese Rolle noch
ausgeweitet werden. In den ersten Vorschlägen verweist die EU-Kommission auf die positiven
Erfahrungen aus dem RRF und schlägt vor, künftige Mittelauszahlungen aus
den verschiedenen Programmen und Fonds in 27 „nationalen und regionalen Partnerschaftsplänen“
(NRPP) zu bündeln. Diese sollen an die Erfüllung der gemeinsam formulierten
Ziele und möglicherweise die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen von
Kommission und Rat gekoppelt werden. Dies würde tatsächlich einen Wendepunkt der
bisherigen EU-Rentenpolitik darstellen.