Eurofound veröffentlicht Bericht zur Digitalisierung von Sozialleistungen.

HS – 10/2025

Eurofound – die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen – hat am 28. Oktober 2025 einen Bericht zur Digitalisierung im Bereich des sozialen Schutzes veröffentlicht. Der Bericht konzentriert sich auf monetäre Sozialleistungen, insbesondere Arbeitslosen-, Krankheits-, Mutterschafts-/Vaterschafts-, Invaliditäts-, Alters-, Arbeitsunfall- und Berufskrankheitsleistungen sowie Mindestsicherung, Kinder- und Wohnbeihilfen. Er untersucht, in welchem Umfang die Front- und Back-Office-Prozesse der Sozialsysteme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und Norwegen digitalisiert sind, die Auswirkungen der Digitalisierung auf Zugänglichkeit und Effizienz sowie politische Handlungsoptionen.

Verbesserter Zugang und Nutzerfreundlichkeit

Der Bericht konstatiert, dass die Digitalisierung des Sozialschutzes den Zugang zu Leistungen und die Nutzerfreundlichkeit deutlich verbessern kann. Digitale Verfahren ermöglichen es, Anträge unabhängig von Öffnungszeiten zu stellen, Wartezeiten zu reduzieren und stigmatisierende Antragsabläufe zu vermeiden. Zudem können sie Verwaltungskosten senken, Prozesse transparenter gestalten und die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern vereinfachen. In fast der Hälfte der Mitgliedstaaten und in Norwegen sei die digitale Antragstellung für alle oder nahezu alle der untersuchten Leistungen möglich. Während in vielen Fällen weiterhin analoge Alternativen bestehen, können in mindestens fünf Ländern bestimmte Leistungen nur noch online beantragt werden.


Besonders weit fortgeschritten sei die Automatisierung von Kinderleistungen, die in vielen Fällen eine Antragstellung überflüssig mache, so der Bericht. Dennoch bleibe die menschliche Entscheidung in der Regel ein zentrales Element der Verwaltungspraxis – insbesondere bei Ablehnungen oder atypischen Fällen. Zugleich weist der Bericht darauf hin, dass digitale Prozesse nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen erreichen. Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen oder ohne festen Wohnsitz seien häufig nicht vollständig erfasst und liefen Gefahr, Leistungen, auf die sie Anspruch hätten, nicht zu erhalten.

Digitalisierung mit unterschiedlicher Geschwindigkeit

Während sich Sozialschutzsysteme insgesamt schnell digitalisieren, unterscheidet sich die Geschwindigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und Verwaltungssystemen deutlich, befindet der Bericht. Systeme, die zentral von nationalen Sozialversicherungsträgern verwaltet werden, seien meist weiter digitalisiert als solche, die von Arbeitgebern oder Versicherungsfonds betrieben werden. Auf lokaler Ebene verwaltete Leistungen wie Wohnbeihilfen oder Mindestsicherungen seien aufgrund komplexer Anspruchsprüfungen und heterogener Datenquellen schwieriger zu digitalisieren.


Darüber hinaus betont der Bericht, dass die Verknüpfung mit anderen Politikbereichen entscheidend für den Digitalisierungsfortschritt sei. So habe etwa die Digitalisierung des Gesundheitswesens – zum Beispiel durch elektronische Krankheits- und Schwangerschaftsbescheinigungen – maßgeblich zur Digitalisierung der damit verbundenen Leistungen beigetragen. Auch EU-Initiativen zur Förderung der Interoperabilität zwischen Mitgliedstaaten hätten eine wichtige Rolle gespielt, insbesondere bei der Digitalisierung von Renten- und Gesundheitsleistungen.

Herausforderungen und Spannungsfelder

Neben den Chancen weist der Bericht auf eine Reihe von Herausforderungen und Spannungsfeldern hin. Die zunehmende Digitalisierung könne zwar Prozesse beschleunigen und Fehler reduzieren, bringe jedoch neue Risiken mit sich – etwa eine größere Anfälligkeit für Cyberangriffe und Datenschutzverletzungen oder den Verlust persönlicher Unterstützung und Beratung. Zudem sei bislang kaum belegt, ob die durch Automatisierung und Effizienzsteigerungen eingesparten Ressourcen tatsächlich in zusätzliche Hilfsangebote für besonders bedürftige Gruppen fließen.


Ein zentrales Thema ist laut Bericht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in digitale Systeme. Fehlende Transparenz über Datennutzung und algorithmische Entscheidungsprozesse könne die Akzeptanz untergraben. Daher sei es entscheidend, nachvollziehbare Prozesse zu etablieren, menschliche Kontrollmechanismen beizubehalten und barrierefreie Beschwerde- und Einspruchsverfahren sicherzustellen.

Politische Handlungsempfehlungen

Abschließend formuliert der Bericht mehrere Empfehlungen für Politik und Verwaltung, um die Chancen der Digitalisierung sozialer Sicherungssysteme zu maximieren und Risiken zu minimieren. Zunächst müsse Vertrauen als zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Digitalisierung verstanden werden. Dieses könne durch Transparenz, Nachvollziehbarkeit von Algorithmen und Datennutzung sowie die aktive Einbindung relevanter Akteure – wie Sozialversicherungsträger, Sozialpartner, Ärztinnen und Ärzte, Anspruchsberechtigte und Zivilgesellschaft – gestärkt werden.


Darüber hinaus empfiehlt der Bericht, Mitarbeitende im Sozialschutz gezielt zu schulen und mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, um den Übergang zu digitalisierten Prozessen zu bewältigen. Ihre Aufgaben sollten so angepasst werden, dass sie neue digitale Tätigkeiten integrieren und gleichzeitig eine verlässliche Unterstützung für die Nutzerinnen und Nutzer bieten können.


Zudem sei es wichtig, digitale Systeme vor ihrer Einführung gründlich zu testen, ihre Wirkung regelmäßig zu evaluieren und über eingesetzte Daten und Algorithmen offen zu kommunizieren. Forschung, Justiz, Medien und Zivilgesellschaft sollten aktiv in die Überprüfung eingebunden werden, um mögliche Verzerrungen oder Datenschutzprobleme frühzeitig zu erkennen. Schließlich erinnert der Bericht daran, dass auch die bestgeschützten Systeme nicht vor technischen Störungen oder Cyberangriffen gefeit seien – weshalb belastbare Notfallpläne unerlässlich seien.