Abgeordnete fordern EU-Aktionsplan.

CC – 10/2025

Der zunehmende Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist zu einer der größten Herausforderungen für die europäischen Gesundheitssysteme geworden. Mit dem am 1. Oktober vorgelegten Entwurf eines Initiativberichts „EU Health Workforce Crisis Plan“ fordern die Berichterstatter Loucas Fourlas (EVP, Zypern) und Ruggero Razza (ECR, Italien) einen europäischen Handlungsrahmen, um die Gesundheitsberufe zu stärken. Ein wichtiger Schritt – denn laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnte der EU bis 2030 ein Mangel von rund 940.000 Gesundheits- und Pflegekräften drohen.

Ursachen und Handlungsbedarf

Der Bericht nennt als zentrale Ursachen eine alternde Bevölkerung, steigende Behandlungsbedarfe, wachsende chronische Erkrankungen und eine zunehmende Belastung des Gesundheitspersonals. Der Mangel an Ärztinnen, Pflegern und weiteren Gesundheitsberufen wird damit nicht nur zu einem arbeitsmarktpolitischen, sondern auch zu einem gesundheitssystemischen Risiko.


Die Berichterstatter fordern eine umfassende europäische Strategie für Gesundheitsberufe, um dem wachsenden Personalmangel entgegenzuwirken. Diese soll Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Innovation als gleichwertige Säulen einer modernen Personalpolitik im Gesundheitswesen verankern

Fünf Schwerpunkte für eine europäische Strategie

Im Mittelpunkt stehen fünf Handlungsfelder:


Erstens sollen bessere Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung und gezielte Programme zur psychischen Gesundheit die Attraktivität der Gesundheitsberufe erhöhen. Gewalt am Arbeitsplatz und Ungleichbehandlung müssen entschiedener bekämpft und die Sozialpartner stärker eingebunden werden. Zweitens soll es verstärkte Maßnahmen gegen regionale Ungleichheiten geben. Um sogenannte „medical deserts“ zu vermeiden, schlagen die Abgeordneten Anreize für Fachkräfte in ländlichen und strukturschwachen Regionen vor, etwa durch Wohnraumförderung, Stipendien, regionale Fachkräfteprogramme und den Ausbau der Telemedizin. Drittens fordern sie eine nachhaltige Personalplanung: Eine EU-weite Strategie soll Ausbildung, Anerkennung von Qualifikationen und Personalentwicklung stärken. Bis 2032 soll die Zahl der Gesundheitsfachkräfte um eine Million steigen, finanziell unterstützt durch ESF+, EU4Health und Kohäsionsmittel. Viertens soll die Digitalisierung das Personal entlasten – durch Telemedizin, KI-gestützte Diagnostik und interoperable Systeme. Schließlich betonen die Abgeordneten als fünftes Handlungsfeld die Bedeutung einer verlässlichen Finanzierung und Governance. EU und Mitgliedstaaten sollen bestehende Förderinstrumente besser verzahnen und gemeinsam mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der WHO ein Monitoring- und Prognosesystem für Personalentwicklungen schaffen.

Anhörung im Parlament: Handlungsbedarf bestätigt

Die Forderungen der Berichterstatter greifen zentrale Punkte auf, die bereits in der gemeinsamen Anhörung der Ausschüsse für öffentliche Gesundheit (SANT) und für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) am 26. September hervorgehoben wurden. Im Rahmen der Anhörung warnte Dr. Natasha Azzopardi-Muscat (WHO Europe) vor einer zunehmenden Abhängigkeit vieler Mitgliedstaaten von im Ausland ausgebildeten Fachkräften und betonte die Notwendigkeit, eigene Ausbildungskapazitäten zu stärken. Zugleich mahnte sie, dass digitale und KI-gestützte Werkzeuge die Arbeit von Gesundheitsberufen unterstützen und nicht zusätzlich belasten dürfen. Jan Willem Goudriaan (EPSU) bezeichnete den Fachkräftemangel als „Public Health Emergency“ und forderte unter anderem ein geschlechtersensibles Aktionsprogramm, da rund 80 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen Frauen sind.


Auch die psychosoziale Belastung am Arbeitsplatz stand im Mittelpunkt der Diskussion. Ein aktueller WHO-Bericht zeigt, dass ein Drittel aller Ärztinnen und Pfleger in Europa unter psychischen Belastungen leidet und jeder zehnte Arbeitnehmer im Gesundheitswesen suizidale Gedanken äußert. Gewalt, Mobbing und Überlastung seien weit verbreitet. Die WHO fordert bessere Arbeitsbedingungen, psychologische Unterstützung sowie Investitionen in Personalbindung und digitale Kompetenzen.

Nächste Schritte

Das Thema verdeutlicht, dass die Gesundheitsversorgung in Europa nicht nur durch eine resiliente Arzneimittel- oder Medizinprodukteversorgung gestärkt wird, sondern auch durch verfügbares und gut ausgebildetes Gesundheitspersonal. Der Entwurf des Initiativberichts wird am 23. Oktober in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse EMPL und SANT vorgestellt. Bis zum 4. November können Abgeordnete Änderungsanträge einreichen. Die Abstimmung im SANT und EMPL Anfang nächsten Jahres erfolgen.