Die Sozialversicherung als Treiber für Europas Wettbewerbsfähigkeit.

11/2025

Kritisch, digital, souverän – unter diesem Leitmotiv haben die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV), der GKV-Spitzenverband und die Deutsche Sozialversicherung Europavertretung (DSV) am 17. November eine Konferenz zur Digitalisierung im öffentlichen Sektor ausgerichtet. Im Mittelpunkt stand der Dialog zwischen europäischer und nationaler Politik, der Verwaltung und den Sozialversicherungsträgern. Dabei wurde deutlich: Fortschritt entsteht nur dort, wo Zusammenarbeit, Mut und klare europäische Rahmenbedingungen zusammenkommen.

Anspruch trifft Wirklichkeit – Digitale Verwaltung in der Praxis

In ihrem Eingangsimpuls zeigte Lucilla Sioli (Europäische Kommission, KI-Büro), welche Werkzeuge die Kommission bereits für ein vertrauenswürdiges Innovationsökosystem im Bereich KI bereitstellt. Im anschließenden Panel diskutierten Staatssekretär Dr. Markus Richter (Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung), Dana-Carmen Bachmann (Europäische Kommission, DG EMPL), Axel Voss (Europäisches Parlament), Stefan Latuski (Bundesagentur für Arbeit) und Dr. Stephan Fasshauer (DGUV), wie eine digitale Verwaltung den wachsenden Anforderungen in Deutschland und Europa begegnen kann. Neben den demografischen Herausforderungen für die Sozialversicherung standen Effizienzgewinne durch Digitalisierung und der gezielte Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Mittelpunkt.


Dr. Markus Richter hob hervor, dass die Verwaltung aktiv gestalten müsse und sektorenübergreifende Kooperationen zentral seien, um Tempo und Wirkung zu erhöhen – bei gleichzeitiger Stärkung von Vertrauen und Akzeptanz. Axel Voss betonte die Notwendigkeit enger europäischer Abstimmung und mutiger Partnerschaften, um digitale Lösungen erfolgreich voranzubringen. Dr. Stephan Fasshauer machte deutlich, dass eine zukunftsfähige digitale Verwaltung in Deutschland klare und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen brauche – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Gleichzeitig betonten sowohl er als auch Stefan Latuski, dass die Sozialversicherung bereit sei, Verantwortung zu übernehmen und ihre Häuser die Digitalisierung bereits aktiv vorantreiben. Insgesamt wurde deutlich, dass moderne Verwaltung praxisnah, europäisch vernetzt und gemeinschaftlich gestaltet sein muss, damit Anspruch und Wirklichkeit zusammenfinden.

Smart, aber sicher – Digitale Anwendungen in der Sozialversicherung

Im zweiten Panel wurde deutlich, wie hoch die Erwartungen an KI in der Sozialversicherung sind. Monika Queisser (OECD) verwies in ihrem Impuls auf große Skepsis in der Bevölkerung und die Bedeutung von Vertrauen. Im anschließenden zweiten Panel diskutierten Dr. Martin Krasney (GKV-Spitzenverband), Nina Nissilä (Kela, Finnland), Gundula Roßbach (DRV Bund), Axel Voss (Europäisches Parlament) und Staatssekretär Dr. Michael Schäfer (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) über den Einsatz von KI in der Sozialversicherung. 


Sie betonten das erhebliche Potenzial für effizientere Verwaltung und bessere medizinische Versorgung, sprachen aber ebenso über Anforderungen an Transparenz, Governance und Cybersicherheit. Diskutiert wurde auch, dass Mitarbeitende gezielt qualifiziert werden müssen und eine enge europäische Abstimmung für eine erfolgreiche Digitalisierung unerlässlich ist. Dr. Martin Krasney hob die Chancen datenbasierter Anwendungen hervor, während Nina Nissilä anhand des finnischen Beispiels zeigte, wie KI bereits bei der Fehlererkennung unterstützt und warum klare Regeln zentral sind. Gundula Roßbach stellte die Befähigung der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt – KI könne entlasten, aber nicht ersetzen.

Europa in Bewegung – Digitale Zusammenarbeit über Grenzen hinweg

Das dritte Panel zeigte, wie wichtig digitale Zusammenarbeit für grenzüberschreitende Mobilität und soziale Sicherheit in Europa ist. In seinem Impuls betonte Dr. Francesco Corti (Europäische Kommission, Kabinett Mînzatu), dass Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne funktionierende soziale Sicherheit nicht denkbar sei. Das geplante Fair Mobility Package solle mithilfe von Digitalisierung und KI die Arbeitsmobilität erleichtern, soziale Absicherung stärken und Betrug eindämmen. Im anschließenden Panel diskutierte er mit Cosmin Boiangiu (Europäische Arbeitsbehörde), Valeria Bonavolontà (INPS, Italien), Morten Fønsskov Greising (STAR, Dänemark) und Dr. Matthias Flügge (DRV Bund) über die Digitalisierung im Kontext grenzüberschreitender Beschäftigung. Dabei standen sowohl bereits erreichte Fortschritte als auch die nächsten notwendigen Schritte im gemeinsamen Datenaustausch, in der Bekämpfung von Fehlverhalten und in der Verbesserung der Verwaltungsabläufe im Mittelpunkt.


Dr. Matthias Flügge hob den Erfolg von EESSI hervor, das den Datenaustausch zwischen 3.400 Trägern beschleunigt habe, ohne Qualitätsverluste – ein wichtiger Faktor für das Vertrauen der Versicherten. Dr. Francesco Corti kündigte den digitalen Nachweis der PD A1 im ESSPASS für Juni kommenden Jahres an, während Morten Fønsskov Greising dafür plädierte, künftig weitere Nachweise wie eine neue europäische Arbeitskarte einzubinden. Valeria Bonavolontà betonte, dass Digitalisierung ihr Potenzial nur entfalten könne, wenn der grenzüberschreitende Datenaustausch wesentlich verbessert werde und forderte gemeinsam mit Cosmin Boiangiu einen klaren gesamteuropäischen Ansatz.


Abschließend forderte Dr. Francesco Corti die Sozialversicherungsträger dazu auf, ihre Expertise noch stärker auf europäischer Ebene einzubringen und sich dadurch noch mehr Gehör zu verschaffen. Es sei für die Europäische Kommission wichtig, zu erfahren, wie sich europäische Initiativen konkret auf die Sozialversicherungsträger auswirken und wo eventuell positiver Anpassungsbedarf besteht, um die Umsetzung praxistauglicher zu gestalten. 

Gemeinsame Verantwortung für die Zukunft

In ihren Schlussworten hob Ilka Wölfle (DSV) hervor, dass die Diskussionen gezeigt hätten, dass nicht nur die Sozialversicherung ein aktiver Treiber für Europas Wettbewerbsfähigkeit ist, sondern dass auch Europa ein Treiber für die Digitalisierung innerhalb der Sozialversicherung sei. Die Veranstaltung habe deutlich gemacht, wie viel Potenzial in der Sozialversicherung steckt – in ihrer Expertise, ihrer Innovationskraft und ihrer Bereitschaft, Verantwortung für den digitalen Wandel zu übernehmen. Jetzt gelte es, dieses Potenzial zu nutzen, die Dinge anzupacken und die europäischen Initiativen konsequent mit Leben zu füllen.


Ilka Wölfle betonte zudem, wie wichtig es sei, diese europäischen Entwicklungen nicht nur in Brüssel zu diskutieren, sondern sie auch auf nationaler Ebene aktiv in die politischen Gespräche einzubringen. Sie ermutigte alle Beteiligten, in ihren Gesprächen mit der Politik regelmäßig auf die europäischen Themen hinzuweisen, gerade weil viele dieser Initiativen in wenigen Jahren unmittelbar von den Trägern der Sozialversicherung umgesetzt werden müssen. Europa beginne nicht erst in Brüssel, sondern dort, wo nationale Akteure sich frühzeitig einbringen und Verantwortung übernehmen.