Getty Images – frankpetersFranzösische Rentenreform
Nationalversammlung setzt Erhöhung der Regelaltersgrenze aus.
VS – 11/2025
Die
französische Nationalversammlung hat am 12. Oktober mit 255 zu 146 Stimmen
dafür gestimmt, die geplante Reform zur Anhebung des Renteneintrittsalters für eine volle Rente (pension à taux plein)
auf 64 Jahre bis Januar 2028 auszusetzen. Eine finale Entscheidung wurde damit
auf die Zeit nach der Präsidentenwahl 2027 vertagt. Derzeit
liegt das Renteneintrittsalter bei 62 Jahren und neun Monaten. Ebenfalls
ausgesetzt wurde die vorgesehene Erhöhung der Regelaltersgrenze (Âge
d’équilibre) von 67 auf 68 Jahre für Versicherte, die nicht über die
erforderliche Beitragsdauer für den Bezug einer vollen Rente verfügen. Damit die Aussetzung der Anhebung des Rentenalters in
Kraft treten kann, muss sie noch vom Senat bestätigt werden.
Politischer Kompromiss zur Stabilisierung Frankreichs
Diese Entscheidung war ein zentrales Zugeständnis der Regierung von Sébastien
Lecornu, um die Unterstützung der Sozialistischen Partei im Parlament für die
Haushaltsberatungen zu sichern. Zugleich enthält der Beschluss Sonderregelungen
für die Frühverrentung in besonders belastenden Berufen wie Polizei und
Feuerwehr. Der Anstieg der erforderlichen Beitragsdauer für den Bezug einer
vollen Rente von aktuell 42 Jahren und sechs Monaten auf 43 Jahre ab dem
Jahrgang 1965 wird hingegen nicht ausgesetzt. Mit dieser Entscheidung soll
sichergestellt werden, dass erst nach der turnusmäßigen Präsidentschaftswahl im
April 2027 über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters entschieden wird.
Mit
der teilweisen Aussetzung der Rentenreform ist Premierminister Sébastien
Lecornu der Hauptbedingung der Sozialisten nachgekommen, damit diese sich nicht
an den Misstrauensvoten der anderen Oppositionsparteien beteiligen. Die
Regierung Lecornu verfügt in der Nationalversammlung über keine Mehrheit und
ist auf die Unterstützung der Sozialisten angewiesen, um den Haushalt für das
Jahr 2026 zu verabschieden. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters für eine volle Rente ist der umstrittenste Aspekt der Rentenreform im Jahr 2023 und konnte von der Regierung Borne nur unter Rückgriff auf Artikel 49.3 der Verfassung, also ohne Zustimmung des Parlaments, durchgesetzt werden.
Premierminister
Sébastien Lecornu kündigte an, den Haushalt ohne Rückgriff auf Artikel 49.3 zu
verabschieden. Darüber hinaus will er durch die Aussetzung der Rentenreform
Vertrauen schaffen und eine Debatte über die Rentenpolitik ermöglichen, ohne
dass die gesellschaftlichen Spannungen weiter zunehmen.
Frankreich unter Beobachtung der EU
Die Europäische
Union (EU) hat gegen Frankreich ein „Verfahren bei übermäßigem Defizit“
eingeleitet. Dieses Verfahren ist ein Instrument des Stabilitäts- und
Wachstumspakts, mit dem die EU-Mitgliedstaaten zur Korrektur hoher Defizite und
Verschuldung verpflichtet werden. So lag die Schuldenquote in Frankreich im
Jahr 2024 bei 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit deutlich
über dem Zielwert von 60 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland lag die
Schuldenquote bei 62,5 Prozent des BIP. Auch das Staatsdefizit lag mit 5,8 Prozent
des BIP über dem europäischen Zielwert (in Deutschland waren es 2,5 Prozent des
BIP). Laut dem Ratsbeschluss vom 21. Januar 2025 soll Frankreich sein „exzessives
Defizit“ durch eine strikte Begrenzung des nationalen Ausgabenwachstums bis
2029 abbauen. Für den Haushalt 2026 strebt die Regierung Lecornu ein
Staatsdefizit von 4,7 Prozent des BIP an.
Die
Kosten für das Aussetzen der Reform sollen sich im kommenden Jahr auf 300
Millionen Euro und im Jahr 2027 auf 1,9 Milliarden Euro belaufen. Diese will
die Regierung durch anderweitige Sparmaßnahmen in den laufenden
Budgetverhandlungen ausgleichen.
Frankreich ist kein Einzelfall
Die
Anhebung der Regelaltersgrenze ist nicht nur in Frankreich umstritten. So wird
in Italien über eine Aussetzung dieser Erhöhung diskutiert. Das Kabinett Monti
hatte angesichts steigender Staatsverschuldung im Jahr 2011 eine umfassende
Rentenreform („Riforma
delle pensioni Fornero“) beschlossen, deren Kernbestandteil die
automatische Anpassung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die
Lebenserwartung ist. Die Umsetzung des Gesetzes wurde in den Jahren 2012 und
2013 von Streiks und Protesten begleitet. Aktuell hat sich der italienische
Finanzminister Giancarlo Giorgetti für ein zweijähriges Einfrieren des automatischen Anpassungsmechanismus der
Regelaltersgrenze an den Anstieg der Lebenserwartung offen gezeigt. In Polen
hat die im Jahr 2019 neu gewählte PiS-Regierung die von der Regierung unter
Donald Tusk vorgenommene, umstrittene Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre
zurückgenommen und die gesetzliche Regelaltersgrenze für Frauen auf 60 Jahre
und für Männer auf 65 Jahre gesenkt.
Demgegenüber
ist es in Finnland, Schweden, den Niederlanden und Dänemark gelungen, eine
Erhöhung der Regelaltersgrenze unter Einbeziehung der Sozialpartner in einem
breiten gesellschaftlichen Konsens zu beschließen. Ein Konsens, den in
Deutschland auch die sogenannte Rürup-Kommission im Jahr 2005 im Bereich Rente herstellen
konnte.