Vorschlag zur Änderung der Richt­linie 98/​24/​EG und der Richt­linie 2004/​37/​EG zum Schutz von Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeit­neh­mern vor der Gefähr­dung durch chemi­sche Arbeits­stoffe

(Blei und Diiso­cya­nate)

Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung

vom 25. Mai 2023


Vorbe­mer­kung

Die Europäische Kommission hat am 13. Februar 2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 98/24/EG des Rates und der Richtlinie 2004/37/WEG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Grenzwerte für Blei und seine anorganischen Verbindungen und Diisocyanate veröffentlicht. Der Vorschlag zielt auf eine Überarbeitung der geltenden Grenzwerte für Blei und die erstmalige Einführung von Grenzwerten für Diisocyanate ab.

Die Deutsche Sozialversicherung (DSV) teilt das Ziel der Europäischen Kommission, die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz kontinuierlich zu verbessern. Die Initiative der Europäischen Kommission zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor der Exposition gegenüber Blei und Diisocyanaten ist hier ein wichtiger weiterer Schritt. Ein wirksamer Arbeitsschutz und geeignete Präventionsmaßnahmen sind unerlässlich, um die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erhalten. Sie tragen auch dazu bei, die finanzielle Belastung der Sozialversicherungssysteme, die durch Krankheit oder Erwerbs-unfähigkeit entstehen, zu verringern und die Systeme zu stabilisieren.

Stel­lung­nahme

Senkung der Grenz­werte für Blei und anor­ga­ni­sche Blei­ver­bin­dungen Änderung der Richt­linie 2004/​37/​EG, Anhang III und IIIa

Blei und seine anorganischen Verbindungen sind reproduktionstoxische Stoffe, die schädliche Auswirkungen auf die Sexualfunktion, die Fruchtbarkeit und die Entwicklung des Fötus haben sowie andere gesundheitsschädliche Auswirkungen nach sich ziehen können.

Arbeits­platz­grenz­wert

Die DSV unterstützt grundsätzlich eine mit der Änderung der Richtlinie 2004/37/EG vorgeschlagene Absenkung des Arbeitsplatzgrenzwertes, der den Gehalt von Blei und anorganischen Bleiverbindungen in der Luft begrenzt. Damit soll auch der entsprechende Eintrag in Anhang I der Richtlinie 98/24/EG zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit angepasst werden.


Die DSV weist aber darauf hin, dass auch die Einhaltung eines wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen niedrigeren Arbeitsplatzgrenzwertes für Blei und anorganische Bleiverbindungen von 0,03 mg/m3 1, als gewichteter Mittelwert für einen Referenzzeitraum von acht Stunden nicht sicher als gesundheitlich unbedenklich eingestuft werden kann. Die Ableitung des durch die Europäische Kommission vorgeschlagenen Arbeitsplatzgrenzwertes beruht auf einem monokausalen Zusammenhang zwischen einer Erhöhung der Bleikonzentration in der Luft am Arbeitsplatz und dem Anstieg des Blutbleispiegels. Die dafür herangezogenen wissenschaftlichen Daten und mathematischen Modellierungen aus dem Biologischen Arbeitsstoff-Toleranzwert2 sind aus Sicht der DSV nicht ausreichend, um diesen Zusammenhang, insbesondere im Niedrigkonzentrationsbereich, wissenschaftlich zu belegen.

Biolo­gi­scher Grenz­wert

Zudem ist die inhalative Exposition nicht allein für die Belastung bei Tätigkeiten mit bleihaltigen Gefahrstoffen entscheidend. Deswegen ist der biologische Grenzwert das wichtigere Instrument zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen die toxischen Wirkungen von Blei und anorganischen Bleiverbindungen und dient der Überwachung einer Anreicherung im Körper. Der biologische Grenzwert stellt auf die innere Belastung der Betroffenen ab, die neben der inhalativen Exposition bei Tätigkeiten mit bleihaltigen Gefahrstoffen als auch von der oralen und damit sehr individuellen Bleiaufnahme sowie der Remobilisierung3 von Blei im Körper abhängt. Eine orale Aufnahme besteht durch mangelnde Hygiene am Arbeitsplatz. Bleihaltige Stäube können durch verschmutze Hände in den Körper gelangen, z. B. bei der Nahrungsmittelaufnahme (Essen und Trinken) oder durch Rauchen. Da das persönliche Verhalten der Beschäftigten in Bezug auf die Hygiene entscheidend für die Aufnahme von Blei in den Körper und damit für den Blutbleispiegel ist, müssen neben den technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen auch die persönlichen Hygienemaßnahmen sichergestellt werden.

Die DSV unterstützt daher insbesondere den Vorschlag der Europäischen Kommission, den biologischen Grenzwert für Blei und seine Verbindungen mit 15 µg Pb/100 ml Blut festzulegen. Die Einhaltung des biologischen Grenzwertes hat aus Sicht der DSV Priorität, da dieser die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirksamsten vor oralen sowie inhalativen Gefährdungen schützt.

Frauen im gebär­fä­higen Alter

Frauen im gebärfähigen Alter bedürfen eines erhöhten Maßes an Schutz gegenüber Expositionen mit Blei und seinen anorganischen Verbindungen, da diese reproduktionstoxisch wirken. Die Europäische Kommission vertritt die Auffassung, dass bei Arbeitnehmerinnen im gebärfähigen Alter der Blutbleispiegel nicht höher sein sollte als die Referenzwerte der Allgemeinbevölkerung in dem betreffenden Mitgliedstaat, die nicht berufsbedingt Blei ausgesetzt sind. Liegen keine nationalen Referenzwerte vor, wird für Frauen im gebärfähigen Alter von der Europäischen Kommission ein Leitwert von 4,5 µg Pb/100 ml Blut empfohlen. Die DSV weist darauf hin, dass es sich bei diesem Leitwert um einen nicht wissenschaftlich begründbaren, populationsbezogenen Mittelwert handelt. Anzustreben bleibt aber immer ein möglichst niedriger Wert. Deshalb ist für eine möglichst geringe Risikoexposition Sorge zu tragen. Gleichstellungsaspekte sind dabei zu berücksichtigen.

Medi­zi­ni­sche Überwa­chung

Eine medizinische Überwachung der Beschäftigten wird von der Europäischen Kommission bei einer Konzentration von mehr als 0,015 mg/m3 Blei in der Luft empfohlen. Diese wird als zeitlich gewichteter Mittelwert bezogen auf 40 Stunden pro Woche berechnet. Alternativ löst ein individueller Blutbleispiegel der Arbeitnehmer von mehr als 9 µg Pb/100 ml Blut die medizinische Überwachung aus. Die aktuellen Werte liegen in Deutschland noch bei 0,075 mg/m3 Blei in der Luft beziehungsweise 40 μg Pb/100 ml Blut. Eine Absenkung ist aber bereits beschlossen worden. Vor diesem Hintergrund unterstützt die DSV den diesbezüglichen Vorschlag der Europäischen Kommission.

Die DSV weist jedoch darauf hin, dass neben der Senkung der Grenzwerte eine konsequente Umsetzung von ergänzenden technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen sowie persönlichen Hygienemaßnahmen4 für einen sicheren Schutz vor Exposition durch Blei zwingend notwendig sind.


Aufnahme von Arbeits­platz­grenz­werten für Diiso­cya­nate Änderung der Richt­linie 98/​24/​EG, Anhang I

Diisocyanate wirken sensibilisierend auf die Atemwege und können eine Allergie, asthmaartige Symptome oder Atembeschwerden verursachen. Ein Hautkontakt kann zudem allergische Hautreaktionen verursachen und die Auslösung von Asthma begünstigen5. Die gesundheitsschädlichen Wirkungen beruhen auf der NCO-Gruppe, einem in allen Diisocyanaten vorkommenden Bestandteil.

Die DSV begrüßt das Ziel, die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit durch die Einführung von verbindlichen Grenzwerten für Diisocyanate zu fördern. Von der Europäischen Kommission wird dabei ein gruppenbezogener Ansatz in Betracht gezogen, der die Festlegung eines gemeinsamen Arbeitsplatzgrenzwertes sowie eines Kurzzeitwertes für alle Diisocyanate ermöglichen soll. Konkret wird ein gemeinsamer Arbeitsplatzgrenzwert (BOEL)6 von 6 µg NCO/m³ und ein gemeinsamer Kurzzeitwert (STEL)7 von 12 µg NCO/m³ vorgeschlagen. Dies wird von der DSV kritisch gesehen.

Arbeits­platz­grenz­wert

Die Europäische Kommission sieht die Bestimmung von Diisocyanat-Konzentrationen mittels klassischer Analyse von monomeren Diisocyanaten und anschließender Umrechnung in NCO-Konzentrationen vor. Der in Anhang I des Richtlinienentwurfes vorgeschlagene Arbeitsplatzgrenzwertes kann allerdings nicht für alle Diisocyanate-Gruppen (Monomere, Dimere, (Pre-)Polymere) gleichermaßen verwendet werden, sondern nur für monomere Diisocyanate. Da die Berechnung des Arbeitsplatzgrenzwertes auf Messungen einzelner monomerer Diisocyanat-Konzentrationen basiert, kann für dimere Isocyanate sowie (Pre-) Polymere keine direkte Umrechnung in eine NCO-Konzentration vorgenommen werden. Hier muss eine tatsächliche Messung von NCO-Gruppen (inklusive Kalibrierung) durchgeführt werden und ein zusätzlicher, spezieller Grenzwert für diese Diisocyanate aufgestellt werden.

Die Einführung eines Grenzwertes, der auf die Beurteilung aller NCO-Gruppen und nicht auf einzelne Diisocyanate abzielt, hat den Vorteil, dass auch Diisocyanate, die nicht mit eigenen Grenzwerten (z. B. neue Diisocyanate) bedacht sind, besser beurteilt werden können. Andererseits ist aus toxikologischen Untersuchungen bekannt, dass monomere Diisocyanate ein höheres toxisches Potential aufweisen als oligomere und polymere Isocyanate. Bei einem einheitlichen NCO-Grenzwert ist eine Unterscheidung der Toxizität von Isocyanaten nicht mehr möglich.

Rege­lung in Deutsch­land

In Deutschland wurde ein System etabliert, welches alle Diisocyanatgruppen mit Grenzwerten oder Äquivalenten bedenkt. Dieses basiert auf Arbeitsplatzgrenzwerten für einzelne monomere Diisocyanate und dem Expositionsleitwert (ELW), welcher aus den Arbeitsplatzgrenzwerten für monomere Diisocyanate abgeleitet ist. Der Expositionsleitwert entspricht der Summe aller reaktionsfähigen NCO-Gruppen von Monomeren und Polymeren in der Luft am Arbeitsplatz und wird angewendet für alle Diisocyanate, für die kein Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt ist oder festgelegt werden kann (Dimere, Polymere und neue Diisocyanate). Eine Überschreitung des Expositionsleitwertes kann erste Hinweise auf eine gesundheitsschädliche Exposition durch ein komplexes Isocyanatgemisch am Arbeitsplatz geben8.

Kurz­zeit­ex­po­si­tion und Mess­ver­fahren

Die Überwachung von kurzzeitig erhöhten Expositionen an kritischen Stellen oder bei kritischen Arbeitsvorgängen für den Arbeitsschutz ist relevant. Stärkere Gefährdungen treten z. B. bei Spritzverfahren und Heißanwendungen auf, wo es zur Aerosolbildung kommen kann und sind weiterhin abhängig von den toxikologischen und chemischen Eigenschaften der einzelnen Diisocyanate (z. B. Unterschiede in der Toxizität oder den Dampfdrücken). Die Überprüfung von Kurzzeitexpositionen bereitet allerdings wegen Messunsicherheiten, insbesondere im Niedrigkonzentrationsbereich und bei Expositionsspitzen, Schwierigkeiten. So unterliegen sammelnde Probenahmeverfahren bei Kurzzeitmessungen einer großen Messunsicherheit. Es sind auch keine direkt anzeigenden Messgeräte bekannt, die verlässliche Messwerte im niedrigen Konzentrationsbereich (Grenzwertbereich) für alle Diisocyanate liefern könnten.

Wissenschaftlich ist es derzeit auch nicht möglich, Grenzwerte festzulegen, unterhalb derer eine Exposition gegenüber Diisocyanaten keine gesundheitsschädlichen Auswirkungen hat. Insbesondere bei sensibilisierten Personen können Einwirkungen bereits unterhalb der vorgeschlagenen Grenzwerte Atemwegserkrankungen auslösen. Arbeitsmedizinische Hinweise legen zudem nahe, dass das Allergie-Risiko eher intensitäts- und nicht konzentrationsabhängig ist.

Überg­ans­zeit­raum

Aufgrund der vorgenannten Schwierigkeiten und Unsicherheiten bleibt es weiterhin wichtig, das Expositionsrisiko zu reduzieren. Primär müssen die Quellen für Kurzzeitexpositionen identifiziert und möglichst beseitigt werden. Bereits bestehende Schutzmaßnahmen sollten auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und die Beschäftigten entsprechend geschult werden.

Daneben sind die Messgeräte und -verfahren mit dem Ziel einer höheren Sensitivität weiterzuentwickeln, um die geplanten EU-Grenzwerte (BOEL und STEL) überprüfen und einhalten zu können. Weiterhin muss die messtechnische Überwachung von Expositionsspitzen gewährleistet sein. Der vorgeschlagene Übergangszeitraum bis Dezember 2028 ist hierfür wie für die Implementierung von Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz eine Grundvoraussetzung.




Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung, die Rentenversicherung und die Unfallversicherung bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

DSV-Stellungnahme Blei und Diisocynate

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