Ein Stück „fake-law“?

Dr. S-W – 11/2017

Als fake-law könnte man ein Schriftstück bezeichnen, das der äußeren Form nach als Recht daherkommt, dem Inhalt nach aber keine Rechtswirkungen erzeugt. So verstanden ist der jüngste Versuch der Europäischen Kommission, ein neues pan-europäisches Rentenprodukt zu schaffen (COM(2017)343 final), letztlich kaum mehr als verheißungsgeladene Ankündigungspolitik. Was die Europäische Kommission auf den Weg bringen will, könnte der Markt heute schon erzeugen. An den Gründen, warum dies nicht geschieht, wird sich auch in Zukunft wenig ändern.  

Die Grundzüge der Initiative

Ein paar Worte zur Einleitung, bevor dann näher auf die Einzelheiten der auf Englisch „Pan-European Personal Pension Products – PEPP’s genannten Finanzprodukte eingegangen wird.  

 

Die Europäische Kommission will als Teil des Legislativpakets zur Vollendung der Kapitalmarktunion den Binnenmarkt der privaten, individuellen 3. Säule der Alterssicherung vertiefen. Zu diesem Zweck möchte sie aber bewusst die Produkte weder voll harmonisieren noch mit Mindeststandards unterlegen. Stattdessen kreierte sie ein weiteres Produkt, als eine Art 29. (nach dem Austritt Großbritanniens 28.) System. Es tritt nicht an die Stelle der nationalen Systeme, sondern an ihre Seite. Genehmigt würden die PEPP’s nicht von der zuständigen Behörde des Herkunftslandes des Finanzdienstleisters, sondern von der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA. Erst die Beaufsichtigung des laufenden Betriebs würde dann wieder den nationalen Aufsichtsbehörden obliegen. 

Hohe Erwartungen

Die von der Europäischen Kommission an das neue Produkt gerichteten Erwartungen sind hoch. Es sollen Finanzmittel in schwindelerregenden Höhen in neue Märkte gepumpt werden. Der Aktivposten der Alterssicherung der Dritten Säule soll sich von heute 700 Mrd. Euro auf 1,4 Billionen verdoppeln. Gleichzeitig soll es die Rentenlücken stopfen, die sich bekanntermaßen überall in Europa als Folge der zurückliegenden Rentenreformen auftun. Durch Größenvorteile sowie ihrem langfristigen Anlagehorizont sollen PEPP’s schließlich höhere Erträge erwirtschaften.  

Die Merkmale der Produkte im Einzelnen

Das Produkt selbst müsste nach dem Verordnungsentwurf über eine Reihe standardisierter Merkmale verfügen, darunter: 

 

  • Der Zugang ist freiwillig. 
  • Es gelten bestimmte Investitionsregeln (prudent person rule). 
  • Das Produkt verfügt über bis zu fünf Anlageoptionen bzw. Risikoklassen, darunter zwingend über eine risikofreie „Standardoption“, in der mindestens der Erhalt des eingezahlten Kapitals garantiert ist.  
  • Kosten und Gebühren müssen transparent sein; hierzu dient ein „Key Information Document (KID)“ vor Vertragsabschluss. 
  • Transparenz muss ferner während des laufenden Vertrages durch jährliche „Leistungsstatements“ hergestellt werden. Diese müssen über Ergebnisse, Erträge und Risiken informieren. 
  • Den Anbietern steht es frei, nur die Ansparphase zu bedienen oder auch Auszahlungsprodukte anzubieten wie etwa Einmalzahlung, garantierte Renten oder Entsparprodukte (regular withdrawals). 
  • Produkt und Anbieter dürfen alle 5 Jahre frei gewechselt werden 
  • Anwartschaften und Deckungskapital müssen jederzeit „portabel“ sein: Das Produkt folgt dem mobilen Bürger bzw. Arbeitnehmer über alle Grenzen hinweg in den jeweils neuen Mitgliedstaat. Der Sparer bekommt im Idealfall am Schluss eine einzige Rente. Darin unterscheiden sich die PEPP’s übrigens von den ebenfalls pan-europäischen Produkten der zweiten Säule, die speziell für Forscher aufgelegt werden sollen („RESAVER“). Hier bleiben die Anwartschaften und das angesparte Kapital im jeweiligen Ursprungsland; das Mitglied erhält mehrere „Leistungen“, wenn auch möglicherweise vom selben Betreiber. 

Die Achillesferse: Nationale „Compartments“

Gerade die Frage der Mobilität, welche doch eigentlich der Trumpf der PEPP’s sein sollte, ist gleichzeitig ihre Achillesferse. Es ist nämlich nicht so, dass die Regulierung der PEPP’s ausschließlich in die europäische Kompetenz fällt, im Gegenteil: die nationalen steuerrechtlichen Rahmenbedingungen gelten fort. Im Klartext: Die PEPP’s können zwar, wenn sie erst einmal zugelassen sind, barrierefrei europaweit vertrieben werden. Sie genießen jedoch nicht zwingend die gleichen steuerlichen „Vergünstigungen“ wie nationale Produkte und wären daher praktisch unverkäuflich. Aus diesem Grund sieht der Verordnungsentwurf die Einrichtung nationaler „Compartments“ vor. Diese sollen dafür sorgen, dass die geltenden Vorschriften des Vertriebs-Mitgliedstaates eingehalten werden, insbesondere im Hinblick auf das Rentenalter, die Modalitäten des Leistungsbezugs (Einmalzahlung oder lebenslange Leistungen usw.). Zwar richtet die Europäische Kommission in einem weiteren Dokument Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, wonach vergleichbare PEPP‘s und nationale Produke auch steuerlich gleich zu behandeln seien. Das ändert aber nichts an der Bedingung der Einrichtung nationaler Unterabteilungen für jedes Produkt – gegebenenfalls bis zu 27.  

 

Wichtig ist noch zu wissen: Es wird nicht ein neuer Typus eines Finanzdienstleisters geschaffen, sondern (wenigstens dem Anspruch nach) ein neues Produkt. Es kann von den schon bestehenden und zugelassenen Finanzdienstleistern erzeugt und vertrieben werden, egal, ob Banken, Versicherungen, Pensionsfonds bzw. Betriebsrentenfonds oder Investmentfondsgesellschaften.  

Was denken die Interessenvertreter?

Vor dem Hintergrund der Komplexität des künftigen Pan-Europäischen privaten Rentenprodukts organisierten die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung sowie der Dachverband der niederländischen Betriebsrentenfonds Pensioenfederatie gemeinsam am 19. Oktober einen Workshop. Beteiligt waren die maßgeblichen europäischen Dachverbände der Finanz- und Pensionsindustrie, die Sozialpartner sowie der europäische Dachverband der Sozialversicherung ESIP. In der Einschätzung der Erfolgsaussichten des angekündigten neuen Produkts war man sich schnell einig: Die komplexe Organisationsstruktur in nationalen Compartments in Verbindung mit der nicht absehbaren steuerlichen Behandlung sprechen dagegen, dass sich die PEPP’s zu einem Erfolgsmodell entwickeln. Es muss viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Menschen überhaupt zum Abschluss eines Vertrages zu bewegen, der ihre Ersparnisse über Jahrzehnte einfriert – und das bei aus Sicht des Versicherten fraglicher Verzinsung seiner Einlagen. Ohne steuerliche Förderung von solchen Altersvorsorgeprodukten, die auch tatsächlich den damit verfolgten sozialen Zweck erfüllen, werde es sehr schwer werden, liquide Vermögenswerte der Privathaushalte in langfristige Kapitalanlagen umzulenken. Dies aber sei eine Voraussetzung für „mehr Rendite“. 

 

Überhaupt wurde ein Widerspruch ausgewiesen, der sich wie ein roter Faden durch das ganze Projekt zieht. Das Anliegen, sehr langfristige und zunächst einmal nicht gewinntragende Anlagen zu fördern, ist unvereinbar mit der Notwendigkeit, im Interesse der Förderung des Wettbewerbs und der Mobilität einen schwer identifizierbaren Teil dieser Anlagen jederzeit liquidieren zu können. 

Der Ausblick: Alles erst ein Anfang?

Was ändert sich also in der wirklichen Welt, sollte der Verordnungsentwurf tatsächlich verabschiedet werden? Eigentlich nichts. Schon bisher konnten die oben genannten Finanzdienstleister (Banken usw.) Produkte auflegen, welche inhaltlich den Anforderungen im Verordnungsentwurf entsprechen, und diese Produkt grenzüberschreitend vertreiben. Die einzige Besonderheit des europäischen PP besteht darin, dass es nicht mehr von der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörde, sondern von der Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA zugelassen wird. Das mag man als Finanzdienstleister als Vorteil ansehen, da EIOPA gewiss nicht in Versuchung geraten wird, die Standards allzu eng auszulegen oder sogar zusätzlich weitere Bedingungen zu stellen – ein Verhalten, das gerne als „gold plating“ gebrandmarkt wird, wenn die Mitgliedstaaten es betreiben.  

 

Sollte allerdings das Projekt wegen seiner Komplexität (nationale Compartments, keine Harmonisierung der Steuerregeln usw.) scheitern, wird die Kommission vermutlich nicht zögern, es erneut aufzulegen und diesmal die steuerliche Gleichbehandlung mit nationalen Produkten nicht empfehlen, sondern vorschreiben wollen.