Zaghafte Ansätze einer Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte.

Dr. S-W – 01/2018

Das Europäische Semester ist eine seit dem Jahr 2011 sich im Jahreszyklus wiederholende Koordination der Fiskal- und Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten. Neben den bereits bestehenden Routinen soll es nach dem Willen der europäischen Institutionen das wichtigste Instrument zur Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte werden. Davon ist allerdings in der jetzigen Runde noch recht wenig zu merken. 

Das „Auftaktpaket“ für das Europäische Semester 2018 hat die Europäische Kommission am 22. November 2017 veröffentlicht. Es besteht aus folgenden Komponenten: 

 

  • Jahreswachstumsbericht 2018 
  • Makroökonomischer Warnmechanismusbericht 2018 
  • Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik der Eurozone 
  • Entwurf des gemeinsamen Beschäftigungsberichts 
  • Änderungsvorschläge für die beschäftigungspolitischen Leitlinien 
  • Mitteilung zu den Haushaltsplanungen in der Euro-Zone 

Jahreswachstumsbericht 2018

Der Bericht selbst enthält wenig Überraschendes. Handlungsleitend ist das „magische Dreieck“ aus Strukturreformen, Investitionen und verantwortungsvoller Haushaltspolitik; sie stehen gleichgewichtig nebeneinander. Manche Themen werden auch durch die „Prinzipien“ der Säule abgebildet oder durch sie verstärkt, etwa die Forderung nach bezahlbaren präventiven und kurativen Gesundheitsdienstleistungen oder die bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Für neue Arbeitsformen soll ein angemessener Sozialschutz bereitgestellt und der Übergang in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden. Alle Arbeitnehmer, einschließlich der Selbständigen, sollten gleiche Chancen haben, Ruhegehaltsansprüche zu erwerben. Auffällig ist schließlich auch die Betonung eines Rechts auf ein Mindesteinkommen für Menschen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen. 

 

Allerdings ist keiner der oben aufgezählten und der sonst noch im Bericht enthaltenen Leitlinien wirklich neu, auch wenn verbal manche Positionen unmittelbar aus den Prinzipen der Europäischen Säule sozialer Rechte abgeleitet werden. 

Gemeinsamer Beschäftigungsbericht 2018

Der Bezug auf die europäische Säule sozialer Rechte setzt sich im Entwurf eines gemeinsamen Beschäftigungsberichts fort. Ganz im Einklang mit „der Säule“ hätten viele Mitgliedstaaten den Sozialschutz der atypisch Beschäftigten und Selbständigen ausgebaut, vor allem beim Elternurlaub, Arbeitslosen- und Krankengeld sowie aktivierenden Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Auch dem Thema „Alterssicherung“ wird ein Abschnitt gewidmet. Offenbar positiv bewertet werden jüngste Reformen zur Verbesserung von Mindestrenten, Steuerentlastung niedriger Renten sowie dem Ausbau ergänzender Rentensysteme. Gesundheitspolitisch werden Bestrebungen zur Verbesserung der Zugänglichkeit der primären Versorgung sowie präventiven Leistungen gelobt, während es bei der Versorgung durch Krankenhäuser und Fachärzten darum gehe, diese unter dem Gesichtspunt der finanziellen Tragfähigkeit zu „straffen“. 

 

Die Verfolgung der auf den einzelnen Feldern erzielten länderspezifischen Fortschritte wird insbesondere von einer eingehenden Analyse des die Säule untermauernden „sozialpolitischen Scoreboards“ gemessen, auch wenn dies (noch?) nicht systematisch geschieht. Das Scoreboard beruht auf 14 Indikatoren und löst das „Scoreboard of key employment and social indicators“ aus dem Jahr 2013 ab. Die Leistungen der Mitgliedstaaten werden am Maßstab der Indikatoren gemessen. Eher verschämt und in einer Fußnote versteckt wird eingeräumt, dass diese Indikatoren bis auf wenige Ausnahmen schon vorher ein Teil der bestehenden Bewertungsrahmen und –instrumente waren, die der Beschäftigungsausschuss und der Ausschuss für Sozialschutz gemeinsam festgelegt haben („Dashboards“).  

 

Nicht prinzipiell neu ist auch die Bewertung der mitgliedstaatlichen Leistung anhand dieser Indikatoren – sowohl im Vergleich zum EU-Durchschnitt als auch im Zeitablauf. Zur Verstärkung des „ranking“ wird nun aber jeder Mitgliedstaat mit Blick auf jeden einzelnen Indikator in eine von sieben „Noten“ eingeordnet, beginnend mit „bester Leistung“ und endend mit „kritische Lage“. Beim Gesamtvergleich schneiden Dänemark, Schweden und Österreich am besten ab, Griechenland, Rumänien und Italien am schlechtesten. Deutschland rangiert bei der Beschäftigungs- und der Arbeitslosenquote im Spitzenfeld, gilt aber auch beim Armutsrisiko, Lohnhöhe, der Deckung des Bedarfs an ärztlicher Versorgung sowie den digitalen Kompetenzen als überdurchschnittlich. Lediglich beim Indikator „Jugendliche weder in Arbeit noch in Ausbildung“ (NEET) gibt Deutschland Anlass zu Sorge. 

 

Neben den 14 bereits bestehenden Indikatoren sind im Ausschuss für Sozialschutz zwei zusätzliche in Vorbereitung, darunter eine zu Mindesteinkommensregelungen. Darüber hinaus hat die Kommission angekündigt, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten zum Thema Benchmarking im Rahmen der „Säule“ weitere Überlegungen anzustellen. 

Beschäftigungspolitischen Leitlinien

Die Prinzipien der europäischen Säule sozialer Rechte werden schließlich auch vom Entwurf der Beschäftigungspolitischen Leitlinien aufgegriffen. Die Europäische Kommission schlägt vor, die Richtlinien 5-8 zu ändern, um sie an die Prinzipien der Säule anzupassen. So werde zum Beispiel besser auf die Themen prekäre Beschäftigungsbedingungen, Missbrauch von atypischen Arbeitsverträgen, Zugang zu angemessenen Sozialwohnungen und eine bessere Balance zwischen Arbeits- und Freizeit eingegangen. 

Ausblick

Das Herbstpaket muss noch im Europäischen Parlament und im Rat diskutiert und verabschiedet werden. Im Frühjahr 2018 werden die Mitgliedstaaten ihre nationalen Reformprogramme vorlegen. Ende Februar wird die Kommission Länderberichte veröffentlichen, geleitet durch die Säule sozialer Rechte; daran anschließend folgen die länderspezifischen Empfehlungen, ebenfalls geleitet durch die Säule. Mit ihrer Annahme durch den Rat Wirtschaft und Finanzen im Juli 2018 endet das Semester.