„Vision Null“ – EU möchte bis zum Jahr 2050 die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten auf nahezu null reduzieren.

FL/SW – 09/2018

Noch immer verlieren zu viele Menschen ihr Leben auf Europas Straßen. Allein das Jahr 2017 zählte nach Angaben der Kommission gut 25.000 Verkehrstote und 135.000 Schwerverletzte auf europäischen Straßen. Ungefähr 40% der Verkehrsunfälle ereignen sich in den Städten. Sehr oft kommen „schwächere“ Verkehrsteilnehmer, wie Fußgänger oder Fahrradfahrer, zu Schaden.  

 

Die Kommission verfolgt weiterhin das Ziel der „Vision Null“, also von nahezu null Verkehrstoten oder Schwerverletzten bis zum Jahr 2050. Moderne Lösungen, wie Abbiegeassistenten bei Lastkraftwagen (Lkw), können hierbei helfen. In Zukunft sollen Kraftfahrzeuge innerhalb der EU mit einer speziellen Unterstützung beim Abbiegen ausgestattet sein, um insbesondere Fußgänger und Fahrradfahrer zu schützen.  

 

Die EU-Kommission hat im Mai 2018 den dritten Teil ihres Maßnahmenpakets „Europa in Bewegung“ veröffentlicht, das auch einen Verordnungsvorschlag zum Schutz von Fußgängern und zur Sicherheit von Fahrzeugen enthält. Sichere Mobilität soll durch gut entwickelte Systeme, wie z.B. dem Abbiegeassistenten, gewährleistet werden. 

 

Der Verordnungsentwurf legt für Lkws und Busse fest, dass sie mit einem Erkennungs- und Warnsystem für ungeschützte Verkehrsteilnehmer, die sich in unmittelbarer Nähe der Frontseite und der Beifahrerseite des Fahrzeugs befinden, ausgerüstet sein müssen und dass durch die Art ihrer Gestaltung und Konstruktion die Sicht auf ungeschützte Verkehrsteilnehmer vom Fahrersitz aus verbessert sein muss. 

Lebensretter oder technischer Schnickschnack?

Der Kommissionsentwurf sieht jedoch für Lastkraftwagen und Busse keine Änderung von Notbrems-Assistenzsystemen vor, die bei Entdeckung ungeschützter Verkehrsteilnehmer selbständig bremsen, wie dies etwa für Personenkraftwagen (Pkw) und leichte Nutzfahrzeuge voreschlagen wird. 

 

Laut EU-Kommission solle weiterhin der Fahrer selbst eine Notbremsung durchführen können und diese nicht automatisch vom Abbiegeassistenten ausgelöst werden. Eine der Initiative zugrunde liegende Unfallanalyse habe ergeben, dass es zurzeit keine Systeme gebe, die das Überfahren „schwächerer“ Verkehrsteilnehmer bei geringer Geschwindigkeit, wie es beim Abbiegen der Fall sei, effektiv verhindere. Nach Einschätzung der Kommission ist zudem ungewiss, ob und wann solche Systeme verfügbar sein werden. 

 

Daher sieht es die Kommission als sinnvoller an, Spiegel, Windschutzscheiben und Seitenfenster so zu verbessern, dass keine Blindbereiche entstehen und Augenkontakt mit Fußgängern und Radfahrern hergestellt werden kann. Die Kommission betont aber auch, dass falls die technischen Voraussetzungen effektiv gegeben seien, die entsprechende Regelung an den technischen Fortschritt angepasst werden solle. 

 

Dr. Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung erläutert in der aktuellen Ausgabe der DGUV Kompakt, dass die sog. Abbiegeassistenten „Radar, Ultraschall, Kameras und Kombinationen dieser Systeme“ verwenden, um andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere Fußgänger und Radfahrer rechtzeitig beim Abbiegen zu erkennen und den Fahrer eines Lkws zu warnen. Hierzu sei eine umfangreiche Software zur sicheren Bilderkennung notwendig, die insbesondere Fehlwarnungen vermeide. Das dritte Mobilitätspaket der Kommission sehe den verpflichtenden Einbau von Abbiegeassistenzsystemen mit Warnfunktion für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen vor, allerdings nur für neue Modelle ab 2022 und für alle Nutzfahrzeuge erst ab 2024.  

Hintergrund

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hatte im Juli die „Aktion Abbiegeassistent“ angekündigt. Er möchte gerne EU-weit Abbiegeassistenten früher als 2022, wie im Kommissionsvorschlag vorgesehen, einführen. Laut Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) bietet derzeit jedoch noch kein Lkw-Hersteller elektronische Abbiegeassistenten an, die im Gefahrenfall automatisch bremsen. Eine gesetzliche Regelung würde den Druck auf die Hersteller erhöhen – und Leben retten. 

Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom November 2017 zum Thema „Mehr Fahrzeugsicherheit in der EU“ die Kommission aufgefordert, den Einbau automatischer Notbremsassistenten mit Fußgänger-, Radfahrer-, Kleinkraftrad- und Motorradfahrererkennung in Pkws, leichten Nutzfahrzeugen, aber auch Bussen und Lkws vorzuschreiben, da sie durch die autonome kräftige Bremsung und den dadurch bewirkten verkürzten Bremsweg eine hohes Potential zur Vermeidung von Straßenverkehrsunfällen aufweisen würden. An 15% der Todesfälle im Straßenverkehr seien Lkws beteiligt, wobei jährlich etwa 100 Todesopfer „schwächere“ Verkehrsteilnehmer seien. Die Kommission solle für Lkws schneller ehrgeizige differenzierte Normen für die Direktsicht, intelligente Geschwindigkeitsassistenzsysteme und automatische Notbremssysteme mit Radfahrer- und Fußgängererkennung verbindlich einführen.