Vorbild oder nicht?

GD – 12/2018

Seit rund elf Jahren reformiert Dänemark sein einst vorbildliches und später eher durch Wartelisten und Ärztemangel ins Gerede gekommenes stationäres Gesundheitswesen. Künftig sollen bis zu 18 sogenannte „Superkliniken“ mit gewaltigen Bettenkapazitäten, Behandlungen von bis zu hunderttausend Patientinnen und Patienten pro Jahr und Haus in ca. jeweils 1.150 Betten und 44 klinischen Abteilungen sicherstellen. Wie der Gesundheitsblog „Smart Health Systems online“ meldet, steht Digitalisierung zwischen den einzelnen Bereichen und im Umgang mit Patientinnen und Patienten dabei ganz oben in der Hierarchie.

Aarhus University Hospital ist „das“ derzeitige Vorzeigeobjekt, eines der zahlreichen,  an völlig neuen Standorten geplanten, zur Umsetzung der Strukturreform. Die Arbeiten an dieser Klinik für rund 4.000 Patientinnen und Patienten sollen bald abgeschlossen sein und sie soll bereits im März 2019 in Betrieb gehen.

Vorausgegangen war eine rund ein Jahrzehnt dauernde Strukturreform in einem ohnehin rein staatlich organisierten System. Zunächst verschwanden „per Federstrich“ die örtlichen kommunalen Verwaltungsstrukturen, von 270 auf nur noch 98 im Jahre 2007. Zugleich wurden die bislang wesentlich für die Gesundheitsversorgung zuständigen „Provinzen“ (in Dänisch „Amter“) abgeschafft. Stattdessen wurde das ganze Königreich in fünf Regionen gegliedert, die seither für die Gesundheitsversorgung zuständig sind.

Ein begleitendes Krankenhausreduktionsprogramm reduzierte die Zahl der öffentlichen Krankenanstalten von rund 100 im Jahre 1999 auf gegenwärtig noch gerade 32. Nach den Vorstellungen der visionsstarken dänischen Hospitalplaner geht der Konzentrationsprozess zusammen mit einer weiteren Verstärkung der Telemedizin verschärft weiter. Fernziel im Lande der Superklinken sind 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner pro Einrichtung. Bei uns kommen etwa 42.500 auf ein Krankenhaus.

Ein dänisches Ziel ist die „Entstationalisierung“ von Behandlungsprozessen mit einer gleichzeitigen Verstärkung der ambulanten Behandlung durch Kliniken. Entsprechend ist die durchschnittliche Verweildauer 3,7 Tage. Bei uns ist es rund die doppelte Zeit.

Den Menschen wird die staatliche Investition von über 5,7 Mrd. EUR (umgerechnet aus dänischer Währung) bei mitunter enorm wachsenden Anfahrtswegen zur nächsten „Superklinik“, auch dadurch schmackhaft gemacht, dass dort  – im Unterschied zu noch im Gedächtnis haftenden anderen Erfahrungen aus früheren Tagen – höchste medizinische Kompetenz bei zeitgerechtem  Einzelzimmerkomfort anzutreffen wären.

Es fehlt jedoch bei aller dänischen Begeisterung für diese „Tat“ an sich nicht an kritischen Stimmen. So stellen sich zum Beispiel Fragen nach der Realisierungsfähigkeit der gewaltigen Bauvorhaben, oft auf der buchstäblichen grünen Wiese – so diese denn plangemäß bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts auch alle funktionsfähig sind. Andere bezweifeln, dass die geplanten Baukostenansätze tatsächlich ausreichen oder beanstanden die künftigen Anreiseentfernungen für Patientinnen und Patienten.

Wie immer, wenn es anderswo Neues zu bestaunen gibt, kommt Begeisterung besonders in Deutschland auf, zumindest dort, wo die Theorie die Praxis überschattet. Übertrüge man die quantitative Krankenhausreduktion auf unsere Verhältnisse, so würden von über 2.000 Krankenanstalten heute gerade einmal 330 verbleiben. Der volkswirtschaftliche Investitionsbedarf läge bei erstaunlichen 80 Mrd. EUR, meint der online Dienst SHZ aus Schleswig-Holstein.

Die Übertragung der bei unseren Nachbarn vorgeschalteten Kompetenzumverteilung im Kommunal- und Provinzbereich wäre auf bundesdeutsche Verhältnisse kaum realistisch. Ebenso wenig würde der unterschiedlichen Trägerschaft – etwa der freigemeinnützigen Träger bei uns – in hinreichender Weise Rechnung getragen.  

Zu Recht fragen sich viele, ob hier nicht in einem Übervertrauen auf Telemedizineffekt im weiteren Sinn – schon heute propagiert Dänemark online-Arztsprechstunden im ambulanten Bereich, schlichtweg aus Ärztemangel – einer weiteren Distanzöffnung zwischen Arzt und Patient der Weg gewiesen wird. Ob es der Sache „menschlicher Direktzuwendung“ zum Kranken wirklich dient, seine Reha-Übungen mit einer telemedizinischen Konserve zu erledigen statt mit Krankengymnasten, darf getrost bezweifelt werden. Wem bitte würde ich ggf. Schmerzerfahrungen beim Rehatraining mitteilen?

Trotz dieser Fragen bleibt man bei dem zentralen Versorgungscharakter des Spitals in Dänemark als Bestandteil einer neuen Versorgungsüberlegung – „Niedergelassene“ wie bei uns gibt es ja kaum in vergleichbarer Art in Dänemark. Hochintensive Medizin als Kurzzeiteingriff im „für alles“ gerüsteten Großspital, dann ab nach Hause und ggf. weitere Kontakte „telemedizinisch“.  Schon heute beklagen viele einen Verlust menschlicher Direktzuwendung, gerade für multimorbide, ja Schwerkranke mit einer häufigen Wiederkehr ins Spital.

Bei kaum gegebener Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse dürfte man anderswo in Skandinavien interessiert nach Dänemark schauen. Schweden hat hohen Krankenhausreformbedarf und erlebt eine jährliche Versorgungskrise nach der anderen. Investitionen wie in Dänemark wären dort sicherlich willkommen. Auch das reiche Norwegen könnte sich ein Beispiel nehmen, selbst wenn schon dessen geografische Situation Anreisewege wie im eher flachen Nachbarstaat kaum zuließe. Auch in Dänemark, so meinen manche, müsse es sich erst noch zeigen, ob Anreisewege von rund 60 km bei „nachweislichen Qualitätsvorteilen“ dauerhaft akzeptiert werden.