Befürworten die Bürger eine europäische Arbeitslosenversicherung?
Studie sagt: Ja.
Dr. Sch-W – 04/2019
Eine komplexe Erhebung eines Autoren-Teams um den ehemaligen
belgischen Sozialminister Frank Vandenbroucke hat im Wege einer
länderübergreifenden Befragung eine überwiegend positive Haltung zur Einführung
einer europäischen Arbeitslosenversicherung festgestellt. Dabei ging es nicht
um ein bestimmtes Modell, sondern viele verschiedene, darunter auch solche, die
deutlich mehr sind als die derzeit noch im „Rennen“ befindliche
Rückversicherung.
Die Komplexität der Befragung hängt damit zusammen, dass
sechs verschiedene „Dimensionen“ mit jeweils zwei bis drei Varianten vorgelegt
wurden, was theoretisch 324 Kombinationen (Modelle) erlaubte, die natürlich
nicht in ihrer Gesamtheit jedem einzelnen Probanden vorgelegt wurden. Mit
anderen Worten: Den ca. 20.000 Befragten wurden nicht die gleichen Fragen
vorgelegt. Was noch dazu kommt: Bei den Antworten wurden diejenigen
„ausgesiebt“, die entweder in sich inkonsistent waren oder auf eine mangelnde
Konzentration des Befragten bis zum Ende des Befragungszyklus schließen ließen
– immerhin ca. 20% der Antworten wurden auf diese Weise nicht berücksichtigt,
die Mehrheit von ihnen eine europäische Arbeitslosenversicherung eher
ablehnend. Auch haben die Autoren auf andere Umfragen hingewiesen, die zu
durchaus skeptischeren Einschätzungen gelangten als ihre eigenen. Es hängt
offenbar viel davon ab, wie die Fragen gestellt werden.
Immerhin lassen die Untersuchungen von Vandenbroucke u.a.
gewisse Präferenzen der Bürger erkennen. Wenn eine europäische
Arbeitslosenversicherung eingeführt wird, sollte ihr Niveau eher 70% des
letzten Lohns betragen als 60% oder 50% (Dimension 1). Die meisten Befragten
sprachen sich dafür aus, die Unterstützung besonders hart betroffener Länder
davon abhängig zu machen, dass allen Arbeitslosen Fortbildungs- und
Trainingsangebote zur Verfügung gestellt werden (Dimension 2). Auch stieß die
„Bedingung“ auf eine hohe Akzeptanz, dass die Arbeitslosen aktiv an ihrer
Eingliederung mitwirken müssen, insbesondere durch Annahme von Job-Angeboten
(Dimension 6). Je nach geographischer und sozialer Herkunft des Befragten
würden auch dauerhafte Transferleistungen zwischen den Mitgliedstaaten
akzeptiert, vor allem von reichen zu armen Staaten (Dimension 3). Zur
Finanzierung würde sogar eine Erhöhung der Steuern (im eigenen Land)
akzeptiert, vorzugsweise im Wege einer Besteuerung der „Reichen“ (in Höhe von
1%) und nicht so gerne im Wege einer allgemeinen Anhebung der Steuern (um 0,5%) (Dimension 4). Auch wenn es sich um ein europäisches System handelt – die
Mehrheit würde seine Verwaltung lieber in den Händen der Mitgliedstaaten als in
den Händen der EU ansiedeln (Dimension 5).
Auch wenn sich bei den Antworten eine gewisse „Nord-Süd“–Differenz erkennen lässt, veranlassen sie die Autoren, von einer
grundsätzlichen Akzeptanz einer europäischen Arbeitslosenversicherung bei den
Bürgern auszugehen, selbst wenn es länderübergreifend zu dauerhaften
Umverteilungen kommen sollte. Das Hauptanliegen besteht offenkundig darin, die
Bedingungen und Merkmale zu beschreiben, unter denen die Akzeptanz am größten
ist.
Zur Studie geht es (in englischer Sprache) hier.