Das Ende der Einstimmigkeit in der europäischen Sozialpolitik?
EU-Kommission gibt Startschuss für Diskussion zur effizienteren Beschlussfassung.
IF – 04/2019
Durch die Mitteilung „Effizientere
Entscheidungsfindung in der Sozialpolitik: Ermittlung möglicher Bereiche für
einen verstärkten Übergang zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit“ strebt
die Juncker-Kommission als eine ihrer letzten Amtshandlungen eine zügigere und
effizientere Beschlussfassung durch eine verstärkte Nutzung der Abstimmung mit
qualifizierter Mehrheit in der EU-Sozialpolitik an. Nun startet ein
Diskussionsprozess auf europäischer Ebene.
In den meisten Bereichen der Sozialpolitik, in denen die
EU Handlungsbefugnisse hat, wird bereits mit qualifizierter Mehrheit
entschieden. Es gibt jedoch noch einige, so zum Beispiel der Bereich der
sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes von Arbeitnehmern, in denen im
Rat eine „Einstimmigkeit“ zur Verabschiedung der entsprechenden Initiativen
notwendig ist. Beispiel wäre hierfür die Empfehlung des
Rates zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige.
Durch Anwendung von Überleitungsklauseln, welche in den EU-Verträgen
geregelt sind, soll laut Mitteilung die Beschlussfassung statt durch die bisher
dominierende Einstimmigkeit künftig durch eine qualifizierte Mehrheit erfolgen. Dies würde bedeuten, dass eine qualifizierte Mehrheit die Zustimmung
von mindestens 55% der Mitgliedstaaten und auch die Mehrheit von mindestens 65% der
EU-Gesamtbevölkerung erzielen muss. Diese Änderung hätte einen erheblichen Einfluss
auf Entscheidungsprozesse in der europäischen Sozialpolitik.
In einem ersten Schritt soll die Überleitungsklausel zur Erleichterung der
Beschlussfassung in Fragen der Nichtdiskriminierung angewendet werden und in
einem zweiten Schritt auch auf Empfehlungen im Bereich der sozialen Sicherheit
und des sozialen Arbeitnehmerschutzes. Die Kommission möchte ganz klar das
Tempo von Beschlüssen im Sozialbereich künftig erhöhen, auch um den Prozess der
Modernisierung und der Konvergenz der Sozialschutzsysteme zu unterstützen.
Die Kommission betont aber ausdrücklich, dass sich im Zuständigkeitsbereich
der Mitgliedstaaten für die nationalen Sozialsicherungssysteme nichts ändern
wird, trotzdem soll die europäische Handlungsfähigkeit gegenüber den nationalen Interessen
durch diesen Vorstoß klar gestärkt werden. Die Deutsche Sozialversicherung wird
die weitere Debatte auf europäischer Ebene genau verfolgen.