„Keine Übereinkunft erfüllt hundertprozentig die Wünsche der nationalen Regierungen. Aber es ist die Aufgabe Europas, einen akzeptablen Kompromiss zu finden.” (Marianne Thyssen.)

UM – 09/2019

„The way forward is to listen to everyone, to understand the national problems, and to make evidence based proposals”. Mit einem energischen Appell richtete sich Kommissarin Marianne Thyssen am 3. September 2019 im Parlamentsausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) an die Mitgliedstaaten. Im Rahmen eines Austauschs machte die Noch-Kommissarin für Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität deutlich: Manche Länder hätten sich hinter technischen Details versteckt. Es müsse vorwärts gehen. Und es sieht so aus, als täte es das. Der Ausschuss wird das Dossier zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit erneut aufnehmen und unter Berichterstatterin Gabriele Bischoff (S&D, Deutschland) weiterverhandeln.

Der Vorschlag der Kommission zur Änderung der Koordinierungsverordnungen sieht ein Bündel von Maßnahmen vor:

Arbeitslosenleistungen

Der Zeitraum für den Export von Arbeitslosenleistungen wird von mindestens drei auf mindestens sechs Monate verlängert. Für die Zahlungen von Arbeitslosenleistungen an Grenzgängerinnen und Grenzgänger ist der Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit zuständig, sofern die betroffenen Personen zwölf Monate dort gearbeitet haben. Im Trilog wurde der Zeitraum auf sechs Monate verkürzt.

Pflegeleistungen

Der Vorschlag führt ein gesondertes Kapitel mit Koordinierungsregeln für Pflegeleistungen ein, die derselben Logik folgen wie die Vorschriften im Bereich von Krankenleistungen. Im Trilog wurde die Pflege auf Hinweise der deutschen Krankenversicherung hin unter Titel III Kapitel 1 mit aufgenommen.

Zugang zu Sozialleistungen für nichterwerbstätige Personen

Der Vorschlag kodifiziert die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zu den Voraussetzungen für den Zugang zu Sozialleistungen durch nichterwerbstätige mobile Personen. Die Mitgliedstaaten können den Zugang für nichterwerbstätige mobile Bürgerinnen und Bürger sowohl zur Sozialhilfe als auch zu Leistungen der sozialen Sicherheit davon abhängig machen, dass sich diese legal im Land aufhalten.

Soziale Sicherheit für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Mit den neuen Regeln werden die administrativen Instrumente für die Koordinierung der sozialen Absicherung entsandter Arbeitnehmer gestärkt. Die nationalen Behörden sollen über angemessene Möglichkeiten verfügen, um den Sozialversicherungsstatus dieser Personen zu überprüfen und unfairen Praktiken oder Missbrauch einen Riegel vorzuschieben. Im Trilog wurde sich darauf geeinigt, dass bei Dienstreisen künftig keine A1 Bescheinigungen mehr notwendig sind.

Familienleistungen

Im Vorschlag sind die Vorschriften zur Vergütung bei Elternurlaub aktualisiert, die Eltern als Ausgleich für Einkommenseinbußen während der Zeit erhalten, in der sie ein Kind betreuen. Der Vorschlag bewirkt keine Änderung der bestehenden Regelungen für den Export von Leistungen für Kinder.

Wie geht es weiter?

Thyssen bekennt freimütig, dass die Kompromissvorschläge, die bereits auf dem Tisch lagen, besser seien als ihr eigener Ausgangsentwurf. Deshalb sei sie zuversichtlich, dass eine Lösung noch vor November gefunden werden könnte, um die Akte zu schließen. Nun stehen theoretisch drei Möglichkeiten im Raum, die Verhandlungen fortzusetzen: Entweder wird der Kommissionsvorschlag von Anfang an neu verhandelt oder auf Basis des Reports des vormaligen Berichterstatters Guillaume Balas aus dem November 2018. Als dritte Möglichkeit käme infrage, auf das Ergebnis des letztlich gescheiterten Trilogs vom 19. März aufzusetzen. Dem Vernehmen nach wird letzteres der Fall sein. Hierzu wird sich der Ausschuss in Bälde offiziell äußern.  

Längst nicht alle sind überzeugt

Da die Kapitel Pflege und Familienleistungen bereits geeinigt waren, spricht auch alles dafür, die geleisteten Vorarbeiten zu berücksichtigen. Dass sich die ehrgeizigen zeitlichen Vorstellungen Thyssens realisieren lassen, ist weit weniger wahrscheinlich. Der im Trilog erarbeitete Vorschlag hatte Ende März nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit gefunden, weil manche Länder Vorbehalte hatten. Diese auszuräumen wird politisches Fingerspitzengefühl erfordern.