
Brexit: Vorbereitungen der deutschen Sozialversicherung
Das Ergebnis der Austrittsverhandlungen ist offen. Was sollten Versicherte zum Brexit wissen?
RB – 11/2019
Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat am
29. März 2017 ihre Absicht erklärt, aus der Europäischen Union (EU) auszutreten und damit die nach
dem EU-Vertrag geltende zweijährige Frist bis zum Austritt in Gang gesetzt. Die
Austrittsfrist ist zwischenzeitlich verlängert worden, sie läuft nun längstens bis
zum 31. Januar 2020. Es bleibt weiterhin unklar, wann und zu welchen
Bedingungen der Austritt (Brexit) vollzogen wird.
Die deutsche
Sozialversicherung hat sich auf die unterschiedlichen Szenarien und deren Folgen für die Versicherten
und rentenberechtigten Personen vorbereitet.
In Bezug auf die Kranken- und
Pflegeversicherung sowie die Unfall- und Rentenversicherung ergeben sich
Auswirkungen. Sowohl für Erwerbstätige mit einem Bezug zum Vereinigten
Königreich, dort eingeschriebene Studierende, im Vereinigten Königreich lebende
Bezieherinnen und Bezieher einer Rente aus Deutschland sowie deren Familienangehörige als auch
Britinnen und Briten, die in Deutschland leben als auch Personen, die nach
einem Brexit Rentenansprüche geltend machen wollen.
Austritt mit Abkommen
Das
Austrittsabkommen ist das vom EU-Vertrag vorgesehene Abkommen zwischen dem
Austrittskandidaten und der EU. Es enthält die Bedingungen der Trennung und
Regelungen für eine Übergangsphase. Das zwischen der EU und der Regierung des
Vereinigten Königreichs ausgehandelte und mehrfach vom britischen Parlament
abgelehnte Abkommen, sowie das kürzlich nachverhandelte Austrittsabkommen, sieht eine
Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 vor, welche um ein oder zwei Jahre verlängert
werden kann. Während dieser Zeit werden die Verordnungen über die Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit weiter Anwendung finden (zum Beispiel für
Touristinnen und Touristen, entsandte Erwerbstätige, Rentnerinnen und Rentner, Studierende),
sodass Versicherte und rentenberechtigte Personen weiterhin
dieselben Ansprüche haben wie bisher.
Diese Personen könnten sich folglich mit der
Europäischen Krankenversicherungskarte (European Health Insurance Card, EHIC) oder
einer Anspruchsbescheinigung im Falle eines Arbeitsunfalls oder einer
Berufskrankheit im Vereinigten Königreich behandeln oder ihr Pflegegeld dorthin
überweisen lassen. Auch Britinnen und Briten, die über den Nationalen
Gesundheitsdienst abgesichert sind, könnten in der EU weiterhin Leistungen auf
Basis der im Vereinigten Königreich ausgestellten EHIC beziehungsweise provisorischen
Ersatzbescheinigung oder der Anspruchsbescheinigung im Falle eines
Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit in Anspruch nehmen. Für den Erwerb
des Rentenanspruchs könnten deutsche und britische Zeiten zudem
zusammengerechnet werden, um die Mindestversicherungszeit der jeweiligen
Rentenart zu erreichen.
Austritt ohne Abkommen
Erfolgt der Austritt ohne Austrittsabkommen (No
Deal Brexit), also ohne Regeln für die Trennung und für eine Übergangsphase,
sind weder die europäischen Koordinierungsregeln zur sozialen Sicherheit noch
die Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der
grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung anwendbar. Daher könnten die vielfältigen
Vorteile, wie sie im Verhältnis zum Vereinigten Königreich während dessen
Mitgliedschaft zur EU oder auch noch übergangsweise nach dem Austritt mit einem
Abkommen gelten würden, nicht mehr in
Anspruch genommen werden.
Möglicherweise würde das Sozialversicherungsabkommen
vom 20. April 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten
Königreich wieder anzuwenden sein. Es enthält zwar Vorschriften zum anwendbaren
Recht, zum Beispiel für Entsendungen oder Ausnahmevereinbarungen, ist aber nicht
deckungsgleich mit dem bestehenden Koordinierungsrecht. Jedoch ist
beispielsweise die Pflegeversicherung nicht erfasst.
Vorbereitungen auf Bundesebene
Um
den übergangslosen Wegfall bestehender Vergünstigungen zu vermeiden, hat der
Bundesgesetzgeber für den Fall eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus
der EU ohne Abkommen ein Gesetz zu Übergangsregelungen im Bereich der sozialen
Sicherheit (kurz: BrexitSozSichÜG) verabschiedet. Ziel ist es, den vom Austritt
besonders betroffenen Personen kurzfristig Rechtssicherheit sowie Bestands- und
Vertrauensschutz zu gewähren und soziale Härten zu vermeiden, soweit dies
einseitig im Verhältnis zum Vereinigten Königreich möglich ist.
Konkret
bedeutet das, dass Versicherte, die sich dauerhaft im Vereinigten Königreich
aufhalten oder aufgehalten haben, nicht aufgrund des Brexits ihren Kranken- und
Pflegeversicherungsschutz verlieren oder sich doppelt versichern müssen.
Mitgliedschaftsrechtliche Sachverhalte und Zeiten im Zusammenhang mit dem
Vereinigten Königreich sollen weiterhin berücksichtigt werden können.
Da
die Sachleistungsaushilfe in Bezug auf das Vereinigte Königreich bei einem
abkommenslosen Austritt entfällt, sollen Kostenerstattungsregeln für Personen,
die sich dauerhaft im Vereinigten Königreich aufhalten und ihren Beitritt zur
GKV nach dem BrexitSozSichÜG erklärt haben, Abhilfe schaffen.
Sofern
Leistungen aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit im
Vereinigten Königreich in Anspruch genommen wurden, erfolgt die
Kostenerstattung nach dem Sozialgesetzbuch VII.
Im
Bereich der Rentenversicherung bleiben Leistungsansprüche, die während der
Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs zur EU festgestellt wurden, geschützt.
Für einen Rentenanspruch nach einem Austritt ohne Abkommen können regelmäßig britische
Versicherungszeiten, übergangsweise auch über den Tag des Austritts hinaus,
herangezogen werden, wie es bisher durch das Europarecht möglich war.
Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung
haben eine gemeinsame Verlautbarung zu den Auswirkungen eines No-Deal-Brexit im
Versicherungs- und Beitragsrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber erarbeitet,
die im Falle eines ungeregelten Austritts kurzfristig veröffentlicht wird.
Informationsangebote
Unter https://www.dvka.de/de/informationen/brexit/brexit.html hat der GKV-Spitzenverband
Informationen zum Thema Brexit veröffentlicht. Dort sind die möglichen
Auswirkungen des Brexits anhand von Fragen und Antworten für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Erwerbstätige, Versicherte, Britinnen und
Briten in Deutschland, Studierende sowie Leistungserbringer dargestellt.
Unter www.dguv.de hat die Deutsche Gesetzliche
Unfallversicherung Informationen zum Thema Brexit veröffentlicht.
Unter www.deutsche-rentenversicherung.de informiert die Deutsche Rentenversicherung zum Brexit. Sobald feststeht,
wann und mit welchem Szenario der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der
EU vollzogen wird, wird den betroffenen Personen Unterstützung zielgerichtet
angeboten werden.