Eine EU-Analyse zeigt Gefahren und Verbesserungspotentiale für die Gesundheitssysteme auf. Auch für Deutschland.

UM – 01/2020

Es war eine seiner letzten Amtshandlungen: Am 28. November des vergangenen Jahres hatte Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis die Profile der Gesundheitssysteme der Länder der europäischen Union sowie Islands und Norwegens veröffentlicht und damit ein Bild über den Zustand der Gesundheitssysteme in Europa gezeichnet. Mit den Berichten wird der Zyklus „Gesundheitszustand in der EU“ fortgesetzt, der im Jahr 2016 in Zusammenarbeit mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und dem Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik seinen ersten Aufschlag fand. Neben 30 länderspezifischen Profilen erläutert ein Begleitbericht die wichtigsten Trends in Europa.  

So sieht es in Europa aus

Negativ wird hervorgehoben, dass die verbreitete Impfskepsis die öffentliche Gesundheit in ganz Europa bedrohe; daneben, dass Gesundheitsversorgung noch immer nicht überall vollständig zugänglich sei. Innovationen zur Verwirklichung eines Qualifikationsmixes bei Beschäftigten im Gesundheitswesen – zum Beispiel durch Delegation oder Substitution ärztlicher Leistungen – könnten viel Potential insbesondere für Apotheker und Krankenpflegekräfte bieten und die Systeme widerstandsfähiger machen. Beispiele dafür fände man hier und da, leider aber nicht genug. Der digitale Wandel berge insbesondere für die Prävention große Chancen, könne aber gerade diejenigen zu Verlierern machen, die am meisten profitieren könnten: Alte Menschen oder Menschen mit niedrigem Bildungsstand und schlechteren gesundheitlichen Chancen. Für diese wäre der Zugang zu digitalen Instrumenten und Anwendungen am schwierigsten.

Deutschland ist oft nur Mittelmaß

Häufig wird gesagt, Deutschland habe das beste Gesundheitssystem der Welt. In seinem „Länderprofil Gesundheit 2019“ erhält Deutschland jedoch nicht nur gute Noten. Das System sei eines der teuersten und habe die höchste Quote von Krankenhausbetten, produziere aber oft nur durchschnittliche Gesundheitsergebnisse. Die Lebenserwartung läge unter jener der meisten westeuropäischen Länder und die Zahl der übergewichtigen Erwachsenen steige. Die Zahl der Ärzte und Krankenpflegekräfte sei höher als in vielen anderen EU-Ländern; gleichzeitig fehle es an Personal in ländlichen und abgelegenen Gebieten. Skill-Mix-Innovationen, bei denen Pflegekräften mehr Aufgaben übertragen werden, würden bislang nicht bundesweit umgesetzt. Insgesamt fehle es an einer regelmäßigen, systematischen und integrierten Leistungsbewertung der verschiedenen Sektoren, aus denen man lernen könne.

Die gute Nachricht

Was die Analyse ebenfalls zeigt: Das deutsche Gesundheitssystem bietet einen nahezu flächendeckenden Krankenversicherungsschutz mit einem umfassenden Leistungskatalog und einem guten Zugang zur Versorgung. Deutschland liegt hinsichtlich der Anzahl von Personen, die von einem ungedeckten medizinischen Bedarf berichten, mit nahezu null Prozent deutlich unter dem EU-Durchschnitt und wird nur noch von Malta, Spanien und den Niederlanden übertroffen. Dies liegt maßgeblich daran, dass die Kosten für die zahnärztliche Versorgung - speziell Zahnersatz und Kieferorthopädie - nicht vollständig abgedeckt werden und zum Teil beträchtliche Zuzahlungen geleistet werden.