Aber der Pfad wird steiler

Dr. S-W – 02/2020

Die französische Regierung hat das vom Hohen Kommissar Jean-Paul Delevoye entworfene Reformprojekt im Wesentlichen unverändert ins Parlament eingebracht, allerdings mit deutlich längeren Übergangsfristen als ursprünglich vorgesehen. Vor allem aber sollen bereits erworbene Anwartschaften geschützt werden.

Premierminister Edouard Philippe wollte zwar die Gelegenheit nutzen, um das gesetzliche Rentenalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben, hat dies aber angesichts breiter Proteste wieder fallen gelassen. Wohlgemerkt: Es geht hierbei um das Alter, mit dem man nach Erreichen einer „kompletten Karriere“ abschlagsfrei in Rente gehen kann („âge d’équilibre“).

Im Raum steht allerdings immer noch die Frage, ob dieses Alter nicht in Zukunft automatisch an die Entwicklung der Lebenserwartung nach der Formel „2/3 in Arbeit, 1/3 in Rente“ angepasst werden soll. 

Im Übrigen sollen die Folgen der Reform für bestimmte Berufe abgemildert werden. Ihnen soll die Möglichkeit eingeräumt werden, ohne Abstriche früher in Rente zu gehen. In den Genuss dieser Regelungen kommen unter anderem auch Krankenpfleger/innen, ähnlich wie dies in Belgien heute schon der Fall ist, jedenfalls in öffentlichen Kliniken.

Kritisiert werden die Pläne zur Rentenreform vor allem von Gewerkschaftsseite, Lob erfahren sie dagegen von Seiten internationaler Organisationen. Monika Queisser/OECD hält die Harmonisierung der verschiedenen Systeme für eine gute Idee, da die heute bestehende Vielfalt für alle Betroffenen sehr unübersichtlich sei. Außerdem seien die französischen Renten mit durchschnittlich 1.600,- EUR im Vergleich sehr hoch und die Bezugsdauer überdurchschnittlich lange, vor allem bei Frauen. Dies sei sehr schön, bei einem Beitragssatz von 28% aber auch sehr teuer.

Nach dem Willen der Regierung soll die Reform Ende 2020 verabschiedet werden. Um den ehrgeizigen Zeitplan einzuhalten, wurde die Vorlage mit heißer Nadel gestrickt. Sie enthält offenbar zahlreiche Lücken und technische Ungenauigkeiten, bis hin zum Fehlen seriöser Projektionen zu den finanziellen Folgen.

Daher übte der Staatsrat (Conseil d’État), der unter anderem die Verfassungsmäßigkeit der Vorlage prüfen muss, scharfe Kritik an der Vorgehensweise der Regierung. Diese provozierte darüber hinaus 22.000 Änderungsanträge von Seiten der Opposition – die dadurch einerseits Kritik in grundsätzlichen Fragen zum Ausdruck bringt, vor allem aber auch Zeit für die Debatte gewinnen will.

Unterdessen musste der schon erwähne Hohe Kommissar Delevoye von seinem Amt zurücktreten. Er hatte verschiedene Nebentätigkeiten nicht angegeben, darunter solche in der Versicherungs- und Bankenbranche, die durchaus ein Interesse am Ausgang der Rentenreform haben könnten.

Die wesentlichen Texte der Regierungsvorlage können hier heruntergeladen werden. Sie sind allerdings nur auf Französisch vorhanden: