Stillstand – doch die Unruhe ist groß
Die Probleme mit den A1-Bescheinigungen sind grenzüberschreitender Alltag. Doch die Politik kommt nicht weiter.
UM – 02/2020
In der Revision der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr.
987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für deren Durchführung tritt die
Brüsseler Politik auf der Stelle. Zuletzt geplanten Triloge sind mangels
einigungsfähiger Vorschläge abgesagt worden. Die größte Hürde zwischen Europaparlament und Rat ist ein schlichtes Formular, dem in der
Vergangenheit kaum einer Beachtung geschenkt hat: die A1-Bescheinigung. Sie
dokumentiert, dass die im Ausland erwerbstätige Person weiter dem Recht des
Heimatlandes unterliegt und daher im Ausland keine Sozialabgaben leisten
muss (weitere Information sind online bei
der DRV erhältlich).
Kontrollen und Bußgelder, die von einigen Ländern seit
einiger Zeit durchgeführt beziehungsweise erhoben werden, haben die
A1-Bescheinigung zwischenzeitlich zu trauriger Berühmtheit gebracht. Bei den
zuständigen Ausstellungsbehörden – in Deutschland die Krankenkassen, die
Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland und die Deutsche
Rentenversicherung Bund - türmen sich
die Anträge der Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten entsenden wollen.
Die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung hatte
deshalb am 7. Februar Fachleute aus der Brüsseler Politik eingeladen, um sich im
Rahmen eines Expertengespräch aus erster Hand über die Probleme in der
Verwaltungspraxis informieren zu lassen und Lösungsoptionen diskutieren
konnten. Nach dem informellen Stand der politischen Diskussion gibt
es mit Blick auf die Revision des Koordinierungsrechts noch drei Punkte, die besonders
strittig sind:
1. Natürlich
und zuallererst die A1-Bescheinigung. Für Geschäftsreisen müsse es
Ausnahmen geben. Allerdings sei der Terminus „Geschäftsreise“ für sich genommen
nicht präzise genug und müsse ausgekleidet werden. Und hier teilen sich die
Geister: Während die einen (zum Beispiel die Berichterstatterin im
Europaparlament oder die Gewerkschaften) für eine qualitative Beschreibung der Ausnahmen werben, erscheint anderen (unter anderem auch deutsche Ministerien
oder Arbeitgeberverbänden) eine zeitliche Eingrenzung der Ausnahmen
praktikabler. Die Vorstellungen reichen hier von sieben bis zu 30 Tagen.
2. Entfaltet ein Unternehmen geschäftliche
Aktivitäten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten, sind bei der Bestimmung des
satzungsmäßigen Sitzes oder der Niederlassung eine Reihe von Faktoren zu
berücksichtigen wie der Umsatz oder die Arbeitszeit, die die Arbeitnehmer in
jedem Mitgliedstaat ausüben etc. Die Bestimmung soll im Rahmen einer
Gesamtbewertung erfolgen. Über das Kriterium „Arbeitszeit in jedem
Mitgliedstaat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird“ wird im Rahmen der Revision jedoch
sehr kontrovers diskutiert. Probleme werden in der Fragmentierung der
Versicherungshistorie der Arbeitnehmer und der Schwierigkeit, diese
nachzuhalten, gesehen. Wegen der methodischen Schwierigkeiten mehrten sich
zuletzt die Stimmen, ganz auf das Arbeitszeitkriterium zu verzichten bei
der Bestimmung des Sitzes beziehungsweise der Niederlassung zu verzichten.
3. Bei den Leistungen für arbeitslose
Grenzgänger bewegt sich die Diskussion zum einen darum, welche
Mindestzeiten im Beschäftigungsstaat für einen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit
gelten sollen. In Rede standen zunächst 15 Monate. Zum anderen sollte auch für
Grenzgänger der Grundsatz „lex loci laboris“ gelten, damit das Recht des
Beschäftigungslandes und auch die Pflicht des Arbeitsuchenden, sich -
unabhängig vom Wohnort - dem Arbeitsmarkt verfügbar zu stellen, aus dem die
Entgeltersatzleistung bezogen wird. Zuletzt zeichnete sich im Rat eine
Kompromisslinie ab, die folgendes vorsah:
- eine Mindestversicherungszeit in der Arbeitslosenversicherung
zwischen drei
und sechs Monaten,
- keine Ausnahmeregelungen für Grenzgänger beim Export von
Leistungen der Arbeitslosenversicherung,
- auch für Grenzgänger sollen während einer Arbeitslosigkeit die
gleichen
Auflagen gelten wie für einheimische Arbeitnehmer.
Zur Vorgeschichte: Die Pflicht
zur Beantragung und Mitführung einer A1-Bescheinigung ist zwar geltendes
europäisches Recht, wurde in der Praxis aber großzügig gehandhabt. Für
kurzfristige oder kurzzeitige Dienst- und Geschäftsreisen hatte selbst das
deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in der Vergangenheit
darauf hingewiesen, dass die A1-Bescheinigung im Bedarfsfall auch nachträglich
beantragt werden kann. Verschiedene Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel
Frankreich und Österreich, kontrollieren aber seit einiger Zeit jedoch das
Vorliegen einer A1-Bescheinigung bei grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit
verstärkt. Die geänderte Verwaltungspraxis ist auf neue nationale Vorschriften
zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und Lohndumping in diesen Ländern
zurückzuführen. Sie legen fest, dass die Beantragung einer A1-Bescheinigung vor
Beginn einer entsandten Tätigkeit in diesen Ländern zwingend vorgeschrieben
ist. Wenn das Formular im Kontrollfall nicht vorgelegt werden kann, können
Bußgelder die Folge sein. Das BMAS empfiehlt deshalb heute, in jedem Fall die
A1-Bescheinigung im Vorfeld zu beantragen (https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Internationales/handhabung-bescheinigung-a1.pdf?__blob=publicationFile&v=1).