„Grenzerfahrungen“
Jenseits der staatlichen Grenzen finden Menschen in Europa zunehmend Arbeit. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ist aber gering.
UM – 03/2020
Die grenzüberschreitende Erwerbstätigkeit hat in Europa zugenommen.
Grundlage für grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen aus Arbeitsgründen
bildet neben der Entsenderichtlinie die Verordnung zur Koordinierung der
sozialen Systeme Nr. 883/2004 und deren Durchführungsverordnung Nr. 987/2009. Die
Verordnungen stellen sicher, dass Erwerbsarbeit innerhalb der Europäischen
Union (EU) und den Staaten des europäischen Wirtschaftsraumes jenseits der
Grenze des Herkunftslandes nicht an Fragen der sozialen Absicherung scheitert.
Das sogenannte „anwendbare Recht“ differenziert nach
Selbstständigen und Nicht-Selbstständigen (Artikel 12; EU Nr. 883/2004) sowie
nach Personen, die in zwei und mehr Mitgliedstaaten arbeiten (Artikel 13; EU
Nr. 883/2004). Der Statistische
Bericht der Europäischen Kommission vom Dezember 2019 wählt für die
Quantifizierung ihrer grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit als Indikator die
Anzahl der ausgestellten A1-Bescheinigungen, die den Sozialversicherungsschutz
im Herkunftsland bestätigen.
"Mehrfachbeschäftigungen" steigen überproportional
Zwischen den Jahren 2007 und 2018 ist die Zahl der
ausgestellten A1-Bescheinigungen kontinuierlich gestiegen. Sie verteilen sich
auf 0,6 Prozent aller Erwerbspersonen (gemessen in Vollzeitäquivalenten). Nach wie vor wächst diese Gruppe, die unter
Artikel 13 fallen, deutlich stärker als die Gruppe der Erwerbspersonen nach
Artikel 12. Dennoch stellen letztere zahlenmäßig die größere Gruppe dar. Das
absolute Arbeitsvolumen der in zwei oder mehr Mitgliedstaaten Beschäftigten ist
jedoch gut doppelt so hoch, da diese deutlich längere Arbeitsperioden im
Ausland absolvieren als die nach Artikel 12 entsendeten Erwerbspersonen.
Länderspezifische Unterschiede
Die meisten A1-Formulare werden durch Polen und Deutschland
ausgestellt; knapp 1,1 Millionen im Jahr 2018. Das macht einen Anteil von etwa
36 Prozent aller Bescheinigungen aus. Dabei lassen sich die meisten
A1-Bescheinigungen aus Polen auf Artikel 13 zurückführen, während Deutschland hauptsächlich
auf Basis von Artikel 12 ausstellt. In Frankreich – dem Land mit den
fünftmeisten A1-Bescheinigungen – verhält es sich wie in Deutschland. In
Spanien ist das Verhältnis eher ausgewogen.
Geringe Inanspruchnahme an Gesundheitsleistungen jenseits der Grenzen
Der Kommissionsbericht gibt auch Aufschlüsse in materieller
Hinsicht. Das Koordinierungsrecht
umfasst neben Mutterschafts- und Familienleistungen, Leistungen bei
Arbeitslosigkeit, Invalidität oder Rente, Leistungen bei Arbeitsunfällen und
Berufskrankheiten auch die medizinischen und pflegerischen Leistungen bei
Krankheit. Nachfragen nach diesen resultieren neben dem Koordinierungsrecht aber
auch aus der Patientenrichtlinie EU Nr. 2011/24/EU und damit aus den
Grundfreiheiten. Sie bleiben im Bericht der Kommission unberücksichtigt. Die
budgetäre Wirkung beläuft sich aber nur auf 0,4 Prozent der gesamten
Sachleistungsausgaben oder vier Milliarden Euro. Die größte Nachfrage entfalten
Grenzgänger sowie Rentnerinnen und Rentner.