Rentenlast verdoppelt Schuldenquote
EZB veröffentlicht Studie zu Konsequenzen von Reformumkehr.
Dr. S-W – 05/2020
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine Studie
mehrerer Autoren veröffentlicht, welche die langfristigen Kosten einer
Zurücknahme jüngerer Rentenreformen untersucht. Die Studie greift die
Projektionen des Ageing Report 2018 auf und entwickelt sie mit einer eigenen
Methode weiter. Dies geschah am Beispiel von nur zwei Ländern: Deutschland und
die Slowakei.
Deutschland wird kritisch betrachtet wegen der
„Doppelten Haltelinie“. Bis zum Jahr 2025 darf das Ersatzniveau nicht unter 48%
fallen, und der Beitragssatz nicht über 20% steigen. Es gibt Überlegungen - und
hier setzt die Studie an - , diese Linie bis zum Jahr 2040 auszudehnen.
Aufmerksam betrachtet wird auch die Einführung einer Grundrente, wobei diese
offenbar noch nicht einmal in die weiteren Projektionen einbezogen wurden. Die
Slowakei wiederum hatte eine automatische Anpassung des Rentenalters an die
Lebenserwartung beschlossen – und dies nun wieder rückgängig gemacht. Die
Folge: Das Rentenalter wird bis 2045 auf 64 Jahre angehoben, und bei diesem
Alter bleibt es dann auch. Außerdem seien generöse Anpassungen der Basis-Rente
beschlossen worden.
Es werden aber noch weitere Beispiele genannt.
Spanien hatte einen „Nachhaltigkeitsfaktor“ eingeführt, der die Rentenhöhe an
die Lebenserwartung knüpft. Dies wurde jetzt auf das Jahr 2023 verschoben.
Italien hat frühere Reformen teilweise neutralisiert, indem es (vorrübergehend)
den Vorruhestand erleichtert. Griechenland wurde durch Gerichtsentscheidungen
gezwungen, Rentenkürzungen zurückzunehmen. Selbst in den Niederlanden wird
diskutiert, die bereits beschlossene Anbindung des Rentenalters an die
Lebenserwartung zu lockern. Allerdings müsste in diesem Fall hinzugefügt
werden, dass sich dort die Lebenserwartung schlechter entwickelt als ursprünglich prognostiziert. In allen diesen
Fällen drohe ein deutlicher Anstieg des öffentlichen Schuldenstandes.
Die Untersuchung geht folgende Schritte:
- Wie entwickelt sich der
Schuldenstand bis zum Jahr 2070, wenn es bei der Rechtslage vor einer Rücknahme
der kostendämpfenden Rentenreformen bleibt (baseline scenario)?
- Wie müssten Rentenalter,
Beitragssatz oder Rentenniveau angepasst werden, um den Schuldenanstieg zu
neutralisieren?
- Den gleichen Fragen wird dann nachgegangen
unter der Annahme des Szenarios einer „Reformumkehr“.
Die Ergebnisse sind beeindruckend. In
Deutschland würde schon im „Baseline scenario“ die Staatsschuldenquote bis zum
Jahr 2070 um 100 Prozentpunkte ansteigen, d.h. von heute ca. 60% auf 160%.
Dabei läge das effektive (nicht das gesetzliche!) Rentenalter bei 65,5 Jahren.
Nicht viel besser erginge es der Slowakei: Auch dort würde die Schuldenquote um
ca. 100 Prozentpunkte steigen. Um diesen Effekt zu neutralisieren, d.h. um die
Schuldenquote stabil zu halten, müsste in Deutschland das effektive Rentenalter
bis 2070 um 3,5 Jahre steigen, d.h. auf 69 Jahre.
In der Slowakei müsste es
sogar um 4,5 Jahre steigen. Alternativ könne man natürlich auch das
Lohnersatzniveau senken, im Fall Deutschlands um 26 Prozentpunkte – was mehr
als eine Halbierung wäre – und im Fall der Slowakei um 21 Prozentpunkte. Die
letzte Alternative wäre, das Gleichgewicht durch eine Anhebung des
Beitragssatzes herzustellen – in Deutschland um 11 Prozentpunkte und in der
Slowakei um 7 Prozentpunkte. Möglich ist natürlich immer auch eine Kombination
der Maßnahmen.
Sind schon diese Aussichten nicht ganz rosig,
so drohe im Fall einer Reformumkehr (eingeleitet nach Abschluss des 2018 Ageing
Report) weiteres Ungemach. Im Fall Deutschlands wird unterstellt, dass die
„doppelte Haltelinie“ bis zum Jahr 2040 ausgedehnt wird. In diesem Fall werde
die Schuldenquote um weitere 60 Prozentpunkte ansteigen, verglichen mit dem
baseline-Scenario. Im Fall der Slowakei betrüge der Anstieg weitere 50
Prozentpunkte, es sei denn, das Lohnersatzniveau würde um 29 Prozentpunkte
gekürzt.
Auch wenn nur Deutschland und die Slowakei
untersucht wurden - die gewählte Methode soll nach Angabe der Autoren jedoch
auch auf andere Länder übertragbar sein. Die Studie trägt den Titel „A framework for
assessing the costs of pension reform reversals” und ist als Working Paper No
2396/April 2020 der Europäischen Zentralbank erschienen. Die Studie finden Sie hier.