
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
Urteile zu Gratisproben für Arzneimittel, zu Staatshilfen an Krankenkassen und zu Schadensersatzansprüchen gegenüber Versicherern geben Klarheit.
RB – 06/2020
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 11.06.2020 drei
Entscheidungen bezüglich der Abgabe von Gratisproben von Pharmaunternehmen und
Apotheken, zu Staatshilfen für Krankenkassen und zu Schadensersatzansprüchen
bei mangelhaften Medizinprodukten erlassen. Der EuGH hat in den drei Fällen wie
folgt gefällt.
Pharmaunternehmen dürfen keine Gratisproben verschreibungspflichtiger Medikamente an Apotheker verteilen
Der EuGH entschied in seinem Urteil,
dass § 47 Abs. 3 AMG im Einklang mit Art. 96 der Richtlinie 2001/83 (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) auszulegen sei: „Der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel erlaubt es
pharmazeutischen Unternehmen nicht, Gratismuster verschreibungspflichtiger
Arzneimittel an Apotheker abzugeben“, so der EuGH in seiner Pressemitteilung.
Nach Auffassung des EuGH dürfen Gratisproben
von rezeptpflichtigen Medikamenten nur an Ärzte verteilt werden – denn nur sie
sind auch berechtigt, solche zu verschreiben. Damit soll eine ärztliche
Überwachung sichergestellt werden in Anbetracht der mit der Einnahme solcher
Medikamente verbundenen Wirkung und Gefahr. Eine Abgabe von nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Apotheker ist jedoch zulässig.
Hintergrund der Entscheidung war ein
Rechtsstreit zwischen Novartis und Ratiopharm. Novartis sah in der Abgabe
kostenloser Verkaufspackungen des Arzneimittels Diclo-ratiopharm-Schmerzgel an
deutsche Apotheker einen Verstoß gegen § 47 Abs. 3 AMG. Das erstinstanzliche
und das Berufungsgericht gaben der Klage von Novartis statt, im Rahmen der
Revision stellte der Bundesgerichtshof die nun entschiedenen Vorlagefragen an
den EuGH.
Der EuGH entscheidet damit nicht über den
Rechtsstreit. Der Bundesgerichtshof muss nun im Einklang mit dem Urteil des EuGH
entscheiden.
Staatshilfen an Krankenkassen unterfallen nicht unionsrechtlichen Beihilfevorschriften
Dies bestätigte der EuGH in seinem Urteil.
Dieser Entscheidung vorausgegangen war ein entsprechender Beschluss der
EU-Kommission aus dem Jahr 2014. Dieser besagte, dass unter der Kontrolle des
Staates tätige Krankenversicherungsträger in der Slowakei nicht unter die
unionsrechtlichen Beihilfevorschriften fallen.
Der EuGH ist der Auffassung, „dass das slowakische
gesetzliche Krankenversicherungssystem ein soziales Ziel verfolgt und das
Solidaritätsprinzip unter staatlicher Kontrolle umsetzt“. Die Tätigkeit der
Krankenkassen könne damit zu Recht als „nichtwirtschaftlicher Natur“ bezeichnet
werden und folglich „nicht als Unternehmen im Sinne von Art.107 Abs.1 AEUV
eingestuft werden“ (Pressemitteilung
des EuGH).
Die nun entschiedene Nichtigkeitsklage hatte der private
slowakische Krankenversicherungsträger Dôvera zdravotná poistʼovňa a.s.
eingereicht, der Staatshilfen für zwei andere Träger als nicht rechtmäßig
ansah.
Französische Brustimplantate: keine Bindung der Versicherung an das Verbot der Diskriminierung
Der EuGH entschied in seinem Urteil,
dass das EU-Recht keine Grundlage für Schadensersatzansprüche einer deutschen
Patientin an die Versicherung eines französischen Brustimplantat-Herstellers biete.
Ein französischer Hersteller hatte Brustimplantate mit nicht
zugelassenem Industriesilikon gefüllt. Nach Bekanntwerden von gerissenen
Implantaten wurde Frauen empfohlen, diese entfernen zu lassen. Eine betroffene
Frau hatte in der Folge Klage auf Schadensersatz erhoben, unter anderem gegen die
Versicherung des Herstellers. Die Versicherung wies die Ansprüche zurück: der
Deckungsschutz gelte nur für Schäden in Frankreich.
Nach EU-Recht dürfen EU-Bürger jedoch nicht aufgrund ihrer
Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Der EuGH entschied nun, dass dieses
Diskriminierungsverbot die Versicherung hier nicht bindet. Im sekundären
Unionsrecht gibt es „keine Bestimmung, die einen Hersteller von Medizinprodukten
dazu verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung von Risiken
abzuschließen, die mit Medizinprodukten verbunden sind, oder die eine solche
Versicherung regelt“ (Pressemitteilung
des EuGH).
Das Oberlandesgericht Frankfurt muss nun in der Sache
entscheiden.
Der Fall um die fehlerhaften Brustimplantate hatte den
Erlass der Medizinprodukteverordnung im Jahr 2017 vorangetrieben. Deren
Geltungsbeginn wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie jedoch auf das Jahr 2021
verschoben.