Rede zur Lage der Europäischen Union
Von der Leyen fokussiert auf klimaneutrales und digitales Europa.
IF – 09/2020
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hielt am 16. September im EU-Parlament in
Brüssel ihre mit Spannung erwartete erste Rede zur Lage der Europäischen Union. Im Beisein ihrer Kommissarinnen und
Kommissare stieg sie mit einem Dank an das Pflegepersonal und die Ärzteschaft
in ihre fast eineinhalbstündige Rede ein.
Vage Vorschläge – ratlose Abgeordnete
Der Blick in das
letzte Jahr, die pandemie-geprägte Zukunftsaussicht und Umrisse von politischen
Visionen fernab des Virus prägten den Vortrag. Die
Kommissionspräsidentin appellierte zu mehr Optimismus und mehr Zusammenhalt, um die bestehende Krise zu meistern.
Doch
wie kommt die EU wieder gestärkt aus der Krise? Die inhaltlichen Erwartungen
wurden nicht erfüllt, sogar Mitglieder ihrer eigenen Fraktion der Europäischen
Volkspartei, zeigten sich öffentlich enttäuscht über die Mutlosigkeit und die fehlenden
konkreten Aussichten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese sind
nach wie vor von Zukunftsängsten um ihren Arbeitsplatz und ihrer Gesundheit weniger
zuversichtlich und zunehmend verunsichert.
Schaffung einer Europäischen Gesundheitsunion?
Die Angst vor der
europaweit zweiten Welle und die steigenden Zahlen beunruhigen die Abgeordneten genauso
wie die Unionsbürgerinnen und -bürger. Doch Von der
Leyen ging kaum darauf ein, wie sie das mäßig
koordinierte Verhalten der EU-Staaten bei der Umsetzung der Pandemiemaßnahmen künftig auflösen möchte.
Sie
möchte die EU zu einer
Gesundheitsunion machen, eine europäische Agentur für
biomedizinische Forschung und Entwicklung (BARDA) einsetzen und eine Stärkung der Kompetenz der EU im Gesundheitsbereich
erreichen. Wie genau und welche Kompetenzen die EU in der Gesundheitspolitik
übernehmen wird, soll möglicherweise in der Konferenz zur Zukunft Europas
debattiert werden. Wann und in welcher Form diese stattfindet, ist nach wie vor
unklar.
Soziale Auswirkungen
Die
Pandemie hat viele Lebensbereiche hart getroffen, besonders den europäischen Wirtschafts- und
Euroraum und in Folge die gesamte Arbeitswelt. Einen Lösungsansatz stellt Von
der Leyen mit der Implementierung eines Mindestlohnrahmens in Aussicht. Dieser soll Lohndumping und
Ausbeutung der Arbeitskräfte verhindern. Die Kommission wird Ende Oktober einen Gesetzesvorschlag für einen Rechtsrahmen für Mindestlöhne vorlegen.
Generell
bezog Sie sich wenig auf soziale Maßnahmen oder die sozialen Auswirkungen auf
die derzeitige Lage in der Arbeitswelt. Die Pandemie löste auch einen unfreiwilligen Digitalisierungsschub aus. So befindet sich die EU in einer „digital decade“,
welche erst richtig durch die Pandemie ausgelöst wurde. Denn Homeoffice wäre ohne
digitale Hilfsmittel und Netzverbindungen gar nicht möglich gewesen.
Zurück zu den Anfängen
Zu ihrem
Amtsantritt 2019 setzte die Kommission auf eine klimaneutrale EU und eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftslebens durch den verstärkten Klimaschutz. Diese Thematik verfolgt Sie nach wie vor. Unabhängig von der Corona-Pandemie sollen die Klimaziele mit
einer Senkung von 55% der Treibhausgase bis 2030 erreicht werden. Berechnungen zufolge wären zwar laut der Präsidentin enorme Investitionen nötig, diese wiederum würden Millionen von
Arbeitsplätzen schaffen.
Ideen werden hierzu in einer neuen Industriestrategie eingearbeitet.
Die
Kommissionspräsidentin forderte europäischen Zusammenhalt und das Engagement
der europäischen Bevölkerung, aber wie die Umsetzung in vielen Bereichen in den
Alltag einkehren soll, blieb oft unbeantwortet. Auch ob die Menschen mit den
neuen Gegebenheiten arbeitstechnisch und mental Schritt halten können, wird
sich in Zukunft erst weisen.