Auf dem Weg zur Gesundheitsunion
Mit Vorlage der ersten Bausteine legt die EU-Kommission das Fundament für mehr Gemeinsamkeiten in der Gesundheitspolitik. Drohen in der Folge Kompetenzverschiebungen?
UM – 11/2020
Am 11. November ist der erste Aufschlag zu der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union annoncierten Europäischen Gesundheitsunion gemacht worden. Flankiert von drei legislativen Vorschlägen macht die Kommission auf 22 Seiten deutlich, welche Konturen die avisierte Europäische Gesundheitsunion haben soll (siehe Mitteilung COM(2020) 724 final vom 11.11.2020).
Gesundheit braucht einen starken Rahmen
Umgesetzt werden sollen die ersten Lektionen, die aus der COVID-19-Pandemie gezogen worden sind. Um Corona, aber auch künftige Gesundheitsbedrohungen, besser bekämpfen zu können, brauche es eine engere Koordinierung auf der europäischen Ebene, die schnellere und abgestimmte Reaktionen ermöglicht. Ein belastbarer Aktionsrahmen soll geschaffen werden, in dem der Beschluss Nr. 1082/2013/EU zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren aus dem Jahr 2013 zu einer eigenständigen Verordnung mit unmittelbarer Rechtskraft in den Mitgliedstaaten weiterentwickelt wird.
Mit der neuen Verordnung zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren soll auch die Grundlage dafür gelegt werden, einen Gesundheitsnotstand von europäischer Tragweite auszurufen und die europäischen Notfallmechanismen aktivieren zu können. Desweiteren bedürfe es der Stärkung wichtiger EU-Agenturen wie der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) oder des Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC).
EMA soll sich auch um Medizinprodukte kümmern
Mit Legislativorschlägen zur Erweiterung des Mandats der EMA (COM(2020) 725 final) und der Stärkung des ECDC (COM(2020) 726 final) - Dokumente zurzeit nur in Englisch verfügbar - sollen die Agenturen so weiterentwickelt werden, dass sie effektiver auch auf Krisensituationen reagieren können. So soll die EMA beispielsweise in die Lage versetzt werden, Arzneimittelstudien der Phase II praktisch zu unterstützen, um die Zulassung von Impfstoffen zu beschleunigen. Unter ihrem Dach soll künftig nicht nur beobachtet werden, ob in der Arzneimittelversorgung Engpässe drohen, sondern auch bei Medizinprodukten.
ECDC soll Daten in Echtzeit liefern
Das ECDC hingegen soll näher an die Kommission heranrücken und eine „echte Gesundheitsbehörde“ werden. Sorge dafür tragen sollen die Lenkungs- und Abstimmungsprozesse zwischen ECDC, Gesundheitssicherheitsausscchuss (Health Security Committee – HSC) und Kommission. Mit einem starkten Mandat soll das Zentrum künftig in enger Abstimmung mit den Ländern Pandemiepläne erstellen und überwachen, das Infektionsgeschehen monitoren und die relevanten Informationen in Echtzeit bereitstellen. Im Zweifel wird die Behörde sogar Einsatz-Teams koordinieren, um lokal betroffenen Ländern bei der Krisenbekämpfung vor Ort unter die Arme zu greifen (siehe hierzu auch auf dieser Seite „ECDC soll gestärkt werden“).
Mit HERA soll eine weitere Krisenbehörde geschaffen werden
Die EU-Kommission hat mit der Vorlage des Pakets zur Europäischen Gesundheitsunion erkennen lassen, dass es sich um erste Initiativen handelt. Ihnen sollen weitere folgen. Konkret hat sie angekündigt, Ende des nächsten Jahres eine weitere Behörde für Krisenvorsorge und –reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (Health Emergency Response Authority – HERA) aufbauen zu wollen. Diese soll insbesondere die Vorsorge- und Reaktionsfähigkeit der EU im Hinblick auf neue grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren stärken.
EU setzt auf Kommunikation und Kooperation
Im Zuge der durch COVID-19 ausgelösten Krise ist eine Diskussion über eine Neuverteilung der Gesundheitskompetenzen in der EU aufgekeimt. Die auf dem Tisch liegenden Vorschläge setzen auf Kommunikation und Kooperation zwischen europäischer und nationaler Ebene und bewegen sich damit im Rahmen der bestehenden Kompetenzverteilung. Dies erscheint vor dem Ziel, die notwendige Stärkung der Resilienz Europas schnell voranzutreiben, auch klug. Es wäre niemandem geholfen, wenn Fragen der Verteilung der Kompetenzen eine Einigung über notwendige und weiterführende Vorschläge verhindern würden.