
Ein Recht auf Nichterreichbarkeit
EU-Abgeordnete fordern EU-Richtlinie.
SW – 01/2021
Telearbeit
und mobiles Arbeiten erlauben es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von überall
und zu jeder Zeit zu arbeiten. Was zunächst verheißungsvoll scheint, birgt für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch auch Gefahren.
Chancen und Risiken flexibler Arbeit
Ermöglichen
Telearbeit und mobiles Arbeiten einerseits eine Verkürzung der Pendelzeit, eine
größere Arbeitszeitautonomie und die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie, führen sie andererseits häufig zu einer Entgrenzung von Beruf und
Privatleben. Die Verlängerung der Arbeitszeit und eine Intensivierung der Arbeit
sind weitere Risiken, die zu hohem Stress und negativen Folgen für die
Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen können.
Die
Gefahr längerer Arbeits- und kürzerer Ruhezeiten sind bekannt und wurden auch
vor der Corona-Krise bereits erörtert. Die
Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen kommt
in einer Studie zum Thema zu dem Ergebnis, dass
diejenigen, die regelmäßig von zu Hause arbeiten, häufig die in der EU geltende
wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden überschreiten. Die Krise hat durch das Arbeiten im
Homeoffice die Thematik nur noch einmal verstärkt ins Blickfeld gerückt.
EU-Richtlinie gefordert
Das
Europäische Parlament hat am 21. Januar 2021 eine Entschließung zum Recht auf
Nichterreichbarkeit verabschiedet. Es handele sich um ein Grundrecht, das untrennbarer Bestandteil der neuen
Arbeitsmuster im digitalen Zeitalter sei. Es müsse als ein wichtiges
sozialpolitisches Instrument auf Unionsebene betrachtet werden, um den Schutz
der Rechte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen.
Die EU-Abgeordneten
fordern die EU-Kommission auf, in einem Rechtsrahmen die Mindestanforderungen für
Telearbeit in der gesamten EU festzulegen, um sicherzustellen, dass durch
Telearbeit die Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
nicht beeinträchtigt werden.
Gedacht
ist an eine Richtlinie, die sicherstellen soll, dass das Recht auf
Nichterreichbarkeit wirksam wahrgenommen werden kann. Sie soll für alle Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereichen, einschließlich atypisch Beschäftigter, gelten, die
bei ihrer Arbeit digitale Arbeitsmittel nutzen.
In
ihrer Entschließung haben die Abgeordneten einen Vorschlag für eine solche
Richtlinie vorgelegt. Dieser sieht vor, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigen die Mittel an die Hand geben, um ihr Recht
auf Nichterreichbarkeit wahrnehmen zu können. Hierzu gehört, dass die
jeweiligen Arbeitszeiten auf objektive und zugängliche Weise
erfasst werden und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern jederzeit die
Möglichkeit eingeräumt wird, Aufzeichnungen über die Arbeitszeit zu erhalten.
Hintergrund
Verschiedene
europäische Gesetze regeln einzelne Aspekte zum Schutz der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern bei Telearbeit und mobilem Arbeiten. So sieht die Arbeitszeitrichtlinie eine wöchentliche Arbeitszeit von
höchstens 48 Stunden einschließlich Überstunden und tägliche und wöchentliche Ruhezeiten
vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof müssen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Arbeitszeit erfassen und überwachen. Die Richtlinie über transparente und vorhersehbare
Arbeitsbedingungen verpflichtet Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur
Unterrichtung der Beschäftigten über die wesentlichen
Aspekte des Arbeitsverhältnisses. Hierzu gehören auch der Arbeitsort und die
Arbeitsmuster. Explizit ein Recht auf Nichterreichbarkeit regelt der bestehende
europäischen Rechtsrahmen jedoch nicht.
Nächste Schritte
Die
EU-Kommission muss nun einen entsprechenden Rechtsakt vorlegen oder erläutern,
warum sie der Forderung des Europäischen Parlamentes nicht nachkommen wird. In
der Aussprache mit den Abgeordneten am 20. Januar 2021 unterstricht der
zuständige Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, jedoch
erneut die entscheidende Rolle der Sozialpartner in diesem Bereich und forderte
diese auf, proaktiv zusammenzuarbeiten, um eine angemessene Lösung zum Nutzen
der Beschäftigten und Unternehmen zu finden (siehe hierzu auch Bericht 9-2020). Die EU-Kommission sei bereit, sie bei
diesem Vorhaben zu unterstützen.