Droht ein RINA-Chaos? Das fragt man sich aktuell in der Sozialversicherung in Europa.

UM – 01/2021

Mit der zentralen Entwicklung und Wartung der Software RINA (Reference Implementation for a National Application) durch die Europäische Kommission soll Mitte des Jahres Schluss sein. Diese aber ist wichtig für ein europäisches Großprojekt, mit dem die Sozialversicherungen in Europa miteinander elektronisch kommunizieren.

Hintergrund

Durch den grenzüberschreitenden elektronischen Austausch von Sozialversicherungsdaten in Europa sollen die nationalen Träger die Anträge mobiler Bürgerinnen und Bürger auf Sozialleistungen und die Erstattung von Gesundheitskosten rascher und effizienter bearbeiten können. Dafür wird mit EESSI derzeit ein IT-System eingeführt‚ das den Sozialversicherungsträgern einen schnellen und sicheren Informationsaustausch ermöglichen soll.

EESSI und RINA müssen zusammen gedacht werden

Zum Einsatz kommt dabei vielfach RINA, um den Umsetzungsprozess von zentraler Stelle aus zu unterstützen und EESSI „ans Laufen zu bringen“. Mit RINA wurde den zuständigen Sozialversicherungsbehörden in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, des Vereinigten Königreichs und der Schweiz von der Europäischen Kommission ein Instrument an die Hand gegeben, um schrittweise die elektronische Kommunikation miteinander einzuführen.

Besonders kleinere Behörden brauchen RINA noch

Wenn EESSI den Rahmen, das Verfahren und die Abfolge der Kommunikation beschreibt, stellt RINA das „elektronische Schreibwerkzeug“ dar. Genauer: eines von vielen möglichen Schreibwerkzeugen. Mit RINA hatte die Kommission ein elektronisches Angebot gemacht, die Online-Anwendung übergangsweise praktisch umzusetzen. Dauerhaft sollten die Mitgliedstaaten eigene Softwarelösungen entwickeln und finanzieren. Dies haben insbesondere große Sozialversicherungsbehörden auch getan. Denn RINA ist für kleine Fallzahlen konzipiert worden und eignet sich für große Institutionen mit hoher Kommunikationsdichte nur bedingt. Für Träger mit geringem Fallaufkommen hingegen lohnte die Investition in eigene Software-Lösungen aber nicht. Sie haben auf RINA gesetzt.

Der erste Austausch einer strukturierten elektronischen Nachricht erfolgte im Januar 2019. Dem vorangegangen waren jahrelange Vorbereitungsarbeiten. Zu ehrgeizige zeitliche Vorgaben der Europäischen Kommission bei EESSI bei einer großen Zahl zu klärender Verfahrensfragen mussten zwangsläufig zu Verzögerungen führen. Alles in allem ist man aber weit gekommen: Überall in Europa arbeiten Sozialversicherungsträger in Europa daran, die digitalen Prozesse zuverlässig ans Laufen zu bringen. Für die Einführung von EESSI kommt in vielen Ländern mittlerweile das Ende in Sicht.

Erfolgreicher Abschluss gefährdet

Doch inmitten der laufenden Entwicklung und Einführung von EESSI möchte die Europäische Kommission nun die Weiterentwicklung und Pflege von RINA abgeben. Die einzelnen Mitgliedstaaten beziehungsweise RINA-Nutzer müssten die Finanzierung und Entwicklung nun zusätzlich zur Einführung von EESSI kurzfristig selbst übernehmen. Dies ist hochproblematisch. Denn die RINA-Nutzer haben noch keine Strukturen aufbauen können, die elektronische Kommunikation über RINA gemeinsam und ohne die Kommission fortzusetzen. Wenn die Europäische Kommission die eigenen Arbeiten an RINA dennoch, wie derzeit beabsichtigt, Mitte des Jahres 2021 beendet, droht EESSI vor die Wand zu fahren. Viele Sozialversicherungsträger würden dann schlicht das „Schreibwerkzeug“ verlieren, um an EESSI teilzunehmen. Dies ist der Kommission seitens der Plattform der Europäischen Sozialversicherungseinrichtungen in Europa auch deutlich gemacht  worden (Statement der ESIP vom 26.11.2020).

Folgen nicht absehbar

Die Haltung der Kommission ist kaum nachvollziehbar. Fakt ist, dass sich der Aufbauprozess von EESSI noch hinziehen wird; für Deutschland mindestens bis Ende 2021. Und niemand kann zurzeit sagen, wann die letzte zuständige Stelle im letzten der 32 beteiligten Länder den letzten EESSI-Kommunikationsweg in Betrieb nehmen kann. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass die Europäische Kommission dennoch am Juli 2021 grundsätzlich festhalten will, um Betrieb, Wartung und Finanzierung von RINA zu übergeben. Zumal sie es versäumt hat, zu analysieren, mit welchen konkreten Folgen dann für die Kommunikation und das Zusammenwirken im gesamten zwischenstaatlichen Austausch der europäischen Sozialversicherung zu rechnen wäre.

Kommission zeigt sich nur wenig flexibel

Die zeitliche Dimension sei ein sensibler Punkt beim Übergang; das räumte auch die Europäische Kommission Mitte Dezember ein. Eine Verschiebung des ursprünglich auf Ende Juli angesetzten Übergabezeitpunkts sei aber allenfalls um wenige Monate möglich. Das wird nicht reichen. Zumal ein gangbares Konzept für den Übergang fehlt. Die Kommission wird nachliefern müssen.