Interview mit Ilka Wölfle, Direktorin der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung

06/2021

2020 starben in Europa 1,3 Millionen Menschen an Krebs, mehr als drei Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger erhielten die Diagnose, an einer der über 200 Krebsarten erkrankt zu sein. Bis 2035 könnte sich die Zahl der Krebsfälle verdoppeln. Mit einem neuen Aktionsplan will die EU-Kommission nun entschlossener gegen Krebserkrankungen vorgehen und unterstützt den Kampf gegen Krebs mit vier Milliarden Euro.

DSV-Newsletter: Frau Wölfle, die Europäische Kommission hat im Februar 2021 ihren EU-Cancer Plan vorgelegt. Seine umfassenden Maßnahmen sollen Prävention und Therapien verbessern und zu einer besseren Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union beitragen. Die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung hat am 14. Juni 2021 zusammen mit dem GKV-Spitzenverband in einer Online-Veranstaltung „Den Krebs in die Zange nehmen“ das Thema in den Fokus genommen. Welche Schwerpunkte wurden im Rahmen ihrer Veranstaltung besonders diskutiert?

Ilka Wölfle: „Tatsächlich könnten sogar 40% der Krebsfälle vermieden werden. Effektive Prävention ist ein Schlüsselelement in der Krebsbekämpfung. Auf unserer Veranstaltung mit ihren rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat sich rasch herauskristallisiert, dass eine Verstärkung der Präventionsbemühungen als prioritär angesehen wird. Dabei wird die EU in der Pflicht gesehen, den gesundheitsförderlichen Rahmen setzen und Impulse an ihre Mitgliedstaaten geben. Konkret haben wir hier über eine Erhöhung der Tabak- und Alkoholsteuer, den verstärkten Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie die Eindämmung von Werbung für ungesunde Nahrungsmitteln für Kinder diskutiert.“

DSV-Newsletter: Seit 2009 bemüht sich die EU stark, Krebs-Früherkennungsprogramme in den Mitgliedsstaaten auszubauen und voranzutreiben. Offenbar läuft das noch nicht zufriedenstellend. Was sollte verbessert werden?

Ilka Wölfle: „Die Europäische Kommission will ihre Mitgliedstaaten unterstützen, bis 2025 für 90 Prozent der infrage kommenden EU-Bürgerinnen und Bürger die Screenings auf Brust-, Darm- und Zervixkrebs anzubieten. Das ist ein großer Schritt. Darüber hinaus wurde in unserer Veranstaltung auch gefordert, den Zugang, die Qualität und die Diagnostik dieser Programme zu verbessern.“

DSV-Newsletter: Es wurde auch über Arzneimittel gesprochen?

Ilka Wölfle: „Ja, die Arzneimittel rückten rasch in den Fokus. Alle drei Diskutanten, Frau Dr. Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-SV, der Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Dr. Liese, sowie Dr. Schreck von der DG SANTE, sprachen sich vor allem für die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Versorgung mit Arzneimitteln sowie für eine Liefer- und Versorgungssicherheit aus. Gerade bei Krebsmedikamenten sind hohe Arzneimittelpreise ein Problem. Hier sollte über alternative Preisfindungsmodelle nachgedacht werden. Auch Lieferengpässe müssen ernstgenommen werden. Ein Vorschlag aus der Diskussion war, digitale Meldesysteme zu etablieren, die Transparenz über die Verfügbarkeiten von versorgungsnotwendigen Arzneimitteln in Echtzeit geben.“

DSV-Newsletter: Frau Wölfle, welches Resümee ziehen Sie nach der Veranstaltung?

Ilka Wölfle: „Mein Fazit ist: Die Bekämpfung von Krebs ist eine der wichtigsten, aber auch herausfordernsten Aufgaben, die auf EU-Ebene aktuell angegangen werden. Die deutsche Sozialversicherung leistet hierzu quasi schon per Amtsauftrag ihren Beitrag. Konkrete Vorschläge haben wir Anfang Juni 2021 in einer Stellungnahme veröffentlicht. Mit unserer Veranstaltung ‚Den Krebs in die Zange nehmen‘, die wir gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband durchgeführt haben, sollten weitere Impulse gegeben werden. Das ist ihr auch, so haben mir Rückmeldungen gezeigt, sehr gut gelungen.“