Rentenangemessenheitsbericht 2021 veröffentlicht.

Dr. S-W – 06/2021

Seit dem Jahr 2017 fördert die die Europäische Säule sozialer Rechte mit seinem Prinzip 15 das Recht auf ein angemessenes Alterseinkommen. Nicht erst seit diesem Jahr unterstützt der alle drei Jahre veröffentlichte Rentenangemessenheitsbericht von EU-Kommission und Sozialschutzausschuss dieses Anliegen durch ausführliche Analysen, und zwar der aktuellen Lage und der künftig zu erwartenden Entwicklungen. Nach wie vor geschieht dies an einem doppelten Maßstab: Reichen die Renten zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards, und verhüten sie Altersarmut?

Der Angemessenheitsbericht 2021 geht zunächst auf die Entwicklungen der drei letzten (bis 2019) Jahre ein. Nach einem Rückgang von Armut und sozialer Ausgrenzung (fehlender Zugang zu elementaren Gütern) Älterer sind die Werte in den letzten Jahren EU-weit wieder leicht gestiegen, und zwar  auf 18,5%; Deutschland liegt leicht darüber. Gestiegen ist auch die „Tiefe“ der Armut, das heißt der durchschnittliche Abstand von der Armutsgrenze.

Niedrige Alterseinkünfte sind oft das Ergebnis niedriger Erwerbseinkünfte und unterbrochener Erwerbskarrieren. Altersarmut ist daher oft weiblich. Die geschlechtsbezogene „Rentenschere“ beträgt immer noch 29,5% (2019), ist aber immerhin seit 2016 um 2,8 Prozentpunkte gesunken, und auch in Deutschland hat sie sich verringert. Modellrechnungen für vier Länder zeigen, dass sich aufgrund geänderter Erwerbskarrieren die Rentenschere bis zum Jahr 2050 deutlich verringern wird. 

Interessant ist die Beobachtung, dass sich in vielen Ländern die Dauer des Ruhestands verkürzt, hat: Das Rentenalter steigt schneller als die Lebenserwartung. Im Lebenszyklus werden im Schnitt 40 Jahre aktiv und 20 Jahre im Ruhestand verbracht. 

Sehr ausführlich erläutert der Bericht die seit dem letzten Bericht durchgeführten Rentenreformen. Hier sollen nur ein paar hervorgehoben werden: die Stärkung der Lohnersatzfunktion, die Rücknahme oder Verschiebung von bereits beschlossenen Anhebungen des Rentenalters, die  Verbesserung des Zugangs für Selbständige, sowie eine Verbesserung der Rentenanwartschaften für Betreuungs- und Pflegetätigkeit. Das Hauptaugenmerk der Reformen lag allerdings auf der Reduzierung von Altersarmut. 

Was die Zukunft angeht, so warnt der Bericht unzweideutig vor einem Absinken des Rentenniveaus. Wer im Jahr 2059 in Rente gehe, werde im Verhältnis zu seinem Erwerbseinkommen eine niedrigere Rente haben als ein Neurentner im Jahr 2019 – bei gleicher Erwerbskarriere. Zwar projiziert der Bericht vergleichsweise längere Erwerbsverläufe. Diese blieben aber hinter dem Anstieg des gesetzlichen Rentenalters zurück. Methodisch fußt diese Aussage aus einem Vergleich der theoretischen Ersatzraten. „Theoretisch“, weil er auf Musterfällen beruht. Und „Ersatz“, indem die Höhe der ersten Rentenzahlung mit dem Niveau des letzten Lohns vor Eintritt in den Ruhestand verglichen wird.

Heute (2019) liegt die Netto-Ersatzrate (unter Berücksichtigung der Steuern) z. B.  im Fall Deutschlands bei 57,8% und damit im unteren Bereich, gegenüber dem Spitzenreiter „Niederlande“ mit über 100%. Im letzteren Fall wurde allerdings die quasi-obligatorische zweite, betriebliche Säule mit hineingerechnet – andernfalls wären die Zahlen deutlich niedriger. In Zukunft – bis zum Jahr 2059 sieht der Bericht das Niveau in vielen Mitgliedstaaten drastisch absinken, während es z.B. in Deutschland leicht steigen würde.


Auch wenn COVID-19 langfristig Spuren in den Anwartschaften hinterlassen mag - der diesjährige  Bericht fasst das Thema noch nicht an, da dies verfrüht erscheine.

Der Angemessenheits-Bericht beschränkt sich nicht auf die Darstellung von Fakten und Projektionen, sondern enthält auch immer wieder Politikempfehlungen. Hierzu gehört vor allem der (nicht neue) Rat, in einem sich wandelnden Wirtschafts- und Arbeitsmarktumfeld und vor dem Hintergrund des demographischen Wandels die Alterssicherung auf eine breitere Finanzierungsbasis zu stellen, vor allem durch eine progressive Gestaltung der Abgaben. Auch sollen lohnbezogene Beiträge stärker durch andere, weniger das Arbeitseinkommen belastende Quellen ergänzt werden wie z.B. Kapitalerträge oder Vermögen. Als Beispiel für eine Diversifizierung der Finanzierungsgrundlage wird ausdrücklich die französische Solidarsteuer (CSG) genannt, deren Erträge gezielt den Sozialschutzsystemen zugutekommen. Der mögliche Beitrag von Verbrauchs- und insbesondere Umweltsteuern zur Finanzierung des Sozialschutzes wird dagegen vorsichtig diskutiert. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, mehr zur Beseitigung der Geschlechterungleichheit zu unternehmen, etwa durch einen Ausbau von Gutschriften für betreuungsbedingte Unterbrechungen der Erwerbskarriere. Atypische und selbständige Erwerbsarbeit sei besser zu schützen.