Streben nach mehr sozialen Ambitionen
Stellenwert der Sozialpolitik gestiegen.
IF – 02/2022
Die
Covid-19-Pandemie lenkte das politische Augenmerk im Jahr 2021 zu einer
unumstrittenen Neubewertung des europäischen Wohlfahrtsstaates. Aus allen
Lagern und Fraktionen kamen Rufe nach Verbesserung der Sozial- und Gesundheitssysteme,
nach mehr Unterstützung und mehr finanziellen Hilfen. Schwächen und Lücken im
Sozialschutz wurden besonders durch die Pandemie vermehrt sichtbar.
Aufstieg der Sozialpolitik durch die Pandemie
In einer gemeinsamen
Studie des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) und dem
Wissenschaftszentrum European Social Observatory (OSE) wurden die politischen Ereignisse seit
Ausbruch der Pandemie chronologisch analysiert. Der kurz- und langfristige
Nutzen als auch die sichtbare Bewegung innerhalb des politischen Machtgeflechts
den sozialen Aspekt in viel mehr Politbereiche in der EU zu berücksichtigen,
wurde erstmals beleuchtet. Der Klimawandel hat viele soziale Auswirkungen, die Pandemie
hat viele soziale Auswirkungen, aber die Antworten darauf kann nur die Politik
erarbeiten, indem rasch und effektiv reagiert wird.
Wer sind die „sozialen“ Verlierer?
Fließen finanzielle Hilfen erstmals, so kann eine Existenz einer Person oder
eines Unternehmens vorübergehend gerettet werden, aber die Härte und Dauer der
Pandemie hat doch mehr Spuren hinterlassen. Demzufolge sollte künftig aus fiskalpolitischer Sicht immer langfristig
gedacht werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte den ärmeren Schichten der
Gesellschaft geschenkt werden, die wahrscheinlich mehr von den langfristigen negativen
Auswirkungen leiden. Dies wirkt sich auf deren Beschäftigungsfähigkeit aus, was
wiederrum Gesundheitsrisiken und Bildungslücken hervorruft.
Wünsche an die Politik
Die
Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten in Zukunft viel mehr
Wert auf die Verhinderung von Ungleichheiten setzen und die Schwächeren in der
Gesellschaft noch mehr unterstützen. Zu den Topthemen der Europapolitik
gehört schon länger der Klimawandel und die Auswirkungen auf die Menschen. Die Förderung
von grünem Wachstum und Beschäftigung im ländlichen Raum als Grundstein der besseren
Abfederung von weiteren Krisen, könnte als neue Chance im Sozialbereich gesehen
werden.
Eine intensivere politische Ausrichtung auf gefährdete Gruppen, insbesondere
Kinder ärmerer Familien, Familien mit Migrationshintergrund, Ältere oder Menschen
mit Beeinträchtigungen, würden zu einer stabileren Sozialpolitik führen. Ein gesellschaftliches
Gleichgewicht könnte durch eine faire Finanzpolitik hergestellt werden. Anstatt
nur mit dem EU-weiten Solidaritätsmechanismus, dem SURE-Programm als Krisenreaktion die Arbeitslosigkeit kurzfristig
abzufedern, muss es langfriste Instrumente und Lösungen geben.
Sozialagenda 2022
Die sozialen
Bestrebungen der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen finden sich
im französischen Ratsvorsitz wieder (siehe News
01/2022). Der Europäische Mindestlohn wird verhandelt, die Initiative zur
Plattformbeschäftigung liegt vor und die Verhandlungen zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit sollen in eine neue Runde gehen. Frankreich ist bekanntlich
immer ein Freund von einer starken Sozialpolitik, aber es müssen sich auch alle
anderen Mitgliedstaaten bewegen. Im Frühjahr werden auch die Ergebnisse der
Bürgerforen der Zukunftskonferenz präsentiert. Ob es hier neue Wege in Richtung
einer weiteren europäischen Integration kommen soll, ob es tatsächlich zu
Rechtsvorschriften oder vielleicht sogar zu Vertragsänderungen kommen wird,
bleibt offen.
Die gesamte
Studie finden Sie hier.