Forde­rungen nach einem Critical Medi­cines Act

CC – 06/2023

Es wird derzeit viel gesprochen über Arzneimittelengpässe. Zwar sind die akuten Engpässe derzeit nicht mehr so virulent wie im Winter und Frühjahr dieses Jahres, aber es besteht politischer Handlungsdruck – nicht nur im Kontext der Arzneimittelrevision. 40 Prozent der in der Europäischen Union (EU) vertriebenen Arzneimittel kommen aus Drittstaaten, bis zu 80 Prozent der wichtigsten pharmazeutischen Wirkstoffe werden in China und Indien hergestellt. Die EU will strategisch unabhängiger werden.

In einem Non-Paper fordern 19 EU-Mitgliedstaaten im Mai politische Maßnahmen, um Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln in Europa zu stärken. Unter anderem fordern sie einen „Critical Medicines Act“, ein Gesetz über kritische Arzneimittel. Das Papier wurde von der belgischen Regierung erstellt und von 18 anderen Mitgliedstaaten unterstützt. Neben Belgien, Frankreich und Deutschland wurde das Papier auch von Österreich, den Niederlanden, Luxemburg, der Tschechischen Republik, Spanien, Estland, Slowenien, Rumänien, Lettland, Litauen, Griechenland, Malta, Polen, Italien und Portugal unterzeichnet.

Die Idee

Die Mitgliedstaaten fordern ein Gesetz, dass die EU-Produktion von wichtigen Medikamenten und grundlegenderen chemischen Wirkstoffen fördert und die Abhängigkeit von großen Herstellern wie China und Indien verringert. In dem Non-Paper heißt es, dass das Gesetz als ein Werkzeugkasten verschiedener Instrumente gesehen werden sollte. Parallelen können zum Europäischen Chips Gesetz (EU-Chips Act) gezogen werden, der die Autonomie der EU bei Halbleitertechnologien und -anwendungen stärken soll. Der EU-Chips Act baut auf drei Säulen auf: (1) Wissen- und Kompetenzaufbau durch Chips für Europa-Initiative, (2) finanzielle Anreize für öffentliche und private Investitionen in den Aufbau neuer Produktionskapazitäten sowie (3) Monitoring und Krisenmanagement. Auch das Europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen (European Critical Raw Materials Act), ein Gesetzesvorschlag, der im März 2023 vorgelegt wurde, könnte Vorbild für einen Critical Medicines Act sein. Mit dem Gesetz sollen die inländischen Lieferketten von kritischen Rohstoffen zur Batterieherstellung sowie für die Solar- und Windtechnologie und die Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie gestärkt werden.

Der Zeit­punkt

Das vorgelegte Non-Paper zu den Arzneimitteln sei losgelöst von den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Arzneimittelrevision (vgl. News 05/2023) und soll eine Ergänzung darstellen, so die Unterzeichner. Die Initiative der EU-Mitgliedstaaten übt aber Druck auf die Europäische Kommission aus. Diese prüfe derzeit die Umsetzung eines solchen Gesetzes. Die Mitunterzeichner des Papieres, Spanien und Belgien, werden die kommenden Ratspräsidentschaften übernehmen.

Ein weiterer Mitunterzeichner, Frankreich, hat schon einmal vorgegriffen. Am 13. Juni verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron seine „Re-Shoring-Initiative“. Bei 50 Arzneimitteln wurde die vollständige Verlagerung nach bzw. Produktionserhöhung in Frankreich angekündigt. In einer ersten Phase werden von der französischen Regierung acht Projekte zur Produktionsverlagerung von 25 Arzneimitteln mit 160 Mio. EUR unterstützt. Frankreich war bis 2008 der größte Arzneimittelproduzent in Europa.

Das Notwen­dige

Unabhängig ob, wie und wann ein Critical Medicine Act parallel zur Arzneimittelrevision von der Europäischen Kommission vorgelegt wird, gilt für die Deutsche Sozialversicherung: Um die Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit in der EU zu verbessern, ist es wichtig, dass Diversifizierung, Bevorratung und eine verbesserte Informations- und Datenlage geschafft werden. Die DSV wird sich in diesem Sinne einbringen.

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