Stär­kung von Zugang, Verfüg­bar­keit und Bezahl­bar­keit

CC – 05/2023

Nach mehreren Verzögerungen wurde am 26. April von der Europäischen Kommission die Überarbeitung der grundlegenden EU-Arzneimittelvorschriften vorgestellt. Es soll ein Binnenmarkt für Arzneimittel geschaffen werden, der erschwingliche, zugängliche und innovative Arzneimittel für alle Bürgerinnen und Bürger verfügbar macht. Andererseits soll die Innovationskraft und Wettbewerbsposition der europäischen Pharmaindustrie gestärkt werden. Eine neue Richtlinie und eine neue Verordnung sollen die bestehenden Arzneimittelvorschriften ersetzen. Die Reform ist die erste große Überarbeitung des Arzneimittelrechts seit über 20 Jahren und eines der wichtigsten Gesundheitsdossiers der Europäischen Union (EU) in dieser Legislaturperiode.

Fünf Haupt­ziele

Die Europäische Kommission verfolgt mit der Reform fünf Hauptziele: Schaffung eines gleichwertigen Zugangs zu Arzneimitteln, Innovationsförderung für die Herstellung von Arzneimitteln, die Sicherstellung der Versorgungssicherheit, die Stärkung der ökologischen Nachhaltigkeit sowie die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen (AMR).

Das Paket: Verord­nung, Richt­linie und Vorschlag für Rats­emp­feh­lungen

Der Verordnungsvorschlag zur Festlegung von Unionsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung der Europäischen Arzneimittel-Agentur enthält spezifische Vorschriften für auf EU-Ebene zugelassene Arzneimittel, wie Arzneimittel für seltene Leiden („Orphans“) und Antibiotika. Es werden Vorschriften für den koordinierten Umgang mit kritischen Engpässen festgelegt. Geregelt wird ebenfalls die Governance der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Der Richtlinienvorschlag zur Schaffung eines Unionskodexes für Humanarzneimittel enthält alle Vorschriften über die Zulassung, die Überwachung, die Kennzeichnung und den rechtlichen Schutz, aller Arzneimittel, die auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene zugelassen werden. Ergänzt wird das Paket durch einen Vorschlag für eine Ratsempfehlung zur Intensivierung der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ (siehe News 05/2023).

Diffe­ren­ziertes Anreiz­system

Eine wesentliche Neuerung in den umfangreichen Legislativtexten ist die Einführung eines differenzierten Anreizsystem für Pharmaunternehmen. Die regulatorischen Schutzfristen werden an Bedingungen geknüpft: Die Vermarktung in allen 27 EU-Mitgliedstaaten, die Befriedigung von ungedeckten Bedarfen, die Durchführung von vergleichenden klinischen Prüfungen und die Entwicklung von Arzneimitteln, mit denen auch andere Erkrankungen behandelt werden können. Insgesamt sieht der Vorschlag eine Verkürzung des Datenschutzes eines Arzneimittels um zwei Jahre vor, um eine frühere Markteinführung von erschwinglicheren Generika und Biosimilars zu ermöglichen. Dies ist begrüßenswert. Von einer generellen Verkürzung der Schutzfristen kann man dennoch nicht sprechen, denn wenn ein Arzneimittel alle Bedingungen erfüllt, kann die Schutzfristen max. 12 Jahre, statt heute 11 Jahre betragen. Auch bei Orphan-Arzneimitteln wird die Standard-Marktexklusivität um ein Jahr von bisher 10 auf 9 Jahre verkürzt. Insgesamt können aber Schutzfristen von max. 13 Jahren statt heute 10 Jahre gewährt werden, wenn auch hier zusätzliche Bedingungen erfüllt werden.

Bekämp­fung von Arznei­mit­tel­eng­pässen

Bei der Bekämpfung von Arzneimittelengpässen möchte die Europäische Kommission die Unternehmen verpflichten, potenzielle Engpässe früher zu melden, Notvorräte anzulegen und Pläne zur Verhinderung von Engpässen bei ihren Arzneimitteln zu erstellen. Zum Beispiel ist vorgesehen, dass ein Unternehmen, das die Zulassung für ein kritisches Arzneimittel dauerhaft zurückziehen will, zunächst einem Dritten die Möglichkeit bieten muss, das Arzneimittel zu angemessenen Bedingungen zu vermarkten. Es soll zudem eine öffentlich zugängliche EU-Liste von kritischen Arzneimitteln erstellt werden, für die in Notfallsituationen strengere Auflagen wie zum Beispiel Bevorratungspflichten gelten können.

Stren­gere Umwelt­prü­fungen

Strengere Regelungen gibt es bei der Umweltprüfung von Arzneimitteln. Diese wird auf alle bereits auf dem Markt befindlichen, potenziell umweltschädlichen Produkte ausgeweitet und damit auch auf Arzneimittel, die vor dem Jahr 2005 zugelassen worden sind. Die EMA kann die Arzneimittelzulassung verweigern, wenn ein Hersteller nicht genügend Informationen über mögliche Umweltrisiken seiner Medikamente vorlegt.

Trans­pa­renz bei Forschung und Entwick­lung

Mehr Transparenz soll es bei der Beteiligung öffentlicher Mittel an den Forschungs- und Entwicklungskosten geben. Die Zulassungsinhaber sollen verpflichtet werden, auf einer öffentlichen Webseite in einem Bericht alle direkten Finanzhilfen aufzuführen, die sie von einer Behörde oder einer öffentlich finanzierten Einrichtung für die Forschung und Entwicklung des Arzneimittels erhalten haben. Dies ist hilfreich für die nationalen Preiserstattungsverfahren.

Voucher als Anreiz

Bei teils sinnvollen vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen, werden jedoch auch die übertragbaren Marktexklusivitätsgutscheine, sog. Voucher vorgesehen. Die Voucher sollen Anreize bei der Entwicklung von neuartigen antimikrobiellen Mittel bieten. Über einen Zeitraum von 15 Jahren können bis zu 10 übertragbare Datenexklusivitätsgutscheine genutzt oder verkauft werden, die ein zusätzliches Jahr Datenschutz bieten. Die DSV hatte sich gegen dieses kostspielige Instrument in einem Statement ausgesprochen.

Wie geht es weiter?

Die Legislativvorschläge werden nun im Europäischen Parlament und im Rat beraten. Im Europäischen Parlament übernimmt Tiemo Wölken (S&D/DE) die Berichterstattung für die Verordnung und Pernille Weiss (EVP/DEN) die Berichterstattung für die Richtlinie. Es wird mit langen Beratungen gerechnet, da das Arzneimittelrecht nicht nur hoch komplex, sondern vor allem viele Interessen zusammenkommen. Die DSV wird sich aktiv im Sinne einer hochqualitativen, bedarfsgerechten und erschwinglichen Versorgung von Arzneimitteln für die Versicherten einbringen (vgl. Stellungnahme zur Arzneimittelstrategie).

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