Belgische Ratspräsidentschaft sucht neuen Kompromiss

VS – 01/2024

In der letzten Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) unter spanischer Ratspräsidentschaft am 22. Dezember 2023 hat die im Trilog gefundene vorläufige Einigung der Verhandlungsführerinnen und -führer des Europäischen Parlaments und Rats über ein europäisches Gesetz zur Plattformarbeit keine ausreichende Unterstützung erhalten. In der Sitzung hat sich insbesondere Frankreich gegen den Kompromiss ausgesprochen. Die Formulierung zur widerlegbaren Beschäftigungsvermutung, die der Statusfeststellung von Plattformbeschäftigten zugrunde liegen soll, weiche danach zu weit von der Position des Rates ab und werde zu einer pauschalen Neueinstufung führen, auch von „echten" Selbstständigen. Frankreich erfährt hierbei Unterstützung von den baltischen Staaten, Italien, der Tschechischen Republik und Ungarn.

Widerlegbare Vermutung steht im Zentrum der Diskussion

Der ursprüngliche Kommissionsentwurf sah vor, dass der tatsächliche Beschäftigungsstatus für die widerlegbare Vermutung anhand von fünf Kriterien geprüft wird. Danach sollte die Vermutung ausgelöst werden, wenn zwei der fünf Kriterien erfüllt sind. Der Rat erhöhte den Schwellenwert auf drei von sieben Kriterien, während die ursprüngliche Haltung des Parlaments darin bestand, die Kriterien ganz zu streichen und sich auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu konzentrieren. In der vorläufigen Einigung wird nicht mehr von Kriterien gesprochen, sondern von fünf Indikatoren, die sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs orientieren sollen. Die widerlegbare Vermutung soll dann ausgelöst werden, wenn mindestens zwei Indikatoren vorliegen.

Die Mitgliedstaaten um Frankreich kritisieren die Formulierungen der einzelnen Kriterien in der vorläufigen Einigung als zu weit gefasst, sodass einige von ihnen systematisch erfüllt würden. Des Weiteren betont Frankreich, dass die in der vorläufigen Einigung vorgesehene Rolle der zuständigen nationalen Behörden bei der Vorlage von Beweisen und der Auslösung der widerlegbaren Vermutung nicht die nationalen administrativen und rechtlichen Gegebenheiten berücksichtige. So kann in Frankreich nur die Justiz eine Person als Arbeitnehmer neu einstufen.

Parlament zeigt sich verhandlungsbereit

Die Verhandlungsführerin des Europäischen Parlaments, Elisabetta Gualmini (S&D, IT), betont die Ausgeglichenheit des zunächst gefundenen Kompromisses und hebt die Bedeutung der Richtlinie zur Plattformbeschäftigung für viele Erwerbstätige hervor. Dabei ist weiterhin das Ziel des Parlaments, die Richtlinie in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Das Europäische Parlament werde sich daher bis zur letzten Minute dafür einsetzen, sich mit dem Rat zu einigen. Grundlage aller weiteren Verhandlungen müsse jedoch die vorläufige politische Einigung sein. Die französische Seite fordert hingegen, die Diskussionen über eine Arbeitsversion wieder aufzunehmen, die der allgemeinen Ausrichtung des Rates so nahe wie möglich kommt.

Belgien sucht Kompromiss

Für die belgische Ratspräsidentschaft hat der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vor der Europawahl höchste Priorität. Aufgrund der hierfür knappen Zeit müsse der vorläufige Text, obwohl er in seiner Gesamtheit für die Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht akzeptabel ist, als Grundlage für weitere Verhandlungen dienen. Die belgische Ratspräsidentschaft hat die Mitgliedstaaten gebeten, zu strittigen Bereichen Stellung zu nehmen. Diese betreffen die Indikatoren für die Auslösung der widerlegbaren Vermutung, Ausnahmeregelungen, der Ermessensspielraum der nationalen Behörden im Falle einer fehlerhaften Einstufung, die Auswirkungen von Neueinstufungsentscheidungen, die Folgen einer fehlenden oder erfolglosen Widerlegung und der präskriptive Charakter von Begleitmaßnahmen.

Gleichzeitig hat Belgien einen ersten Vorschlag für die Neuformulierung der Indikatoren unterbreitet, die der gesetzlichen Vermutung zugrunde liegen. Unverändert gegenüber der vorläufigen Einigung bleiben darin die ersten beiden Kriterien zur Festlegung der Vergütung und der Überwachung der Arbeitsleistung. Die nächsten drei Kriterien sollen jedoch enger gefasst werden und sich auf die Frage konzentrieren, ob eine digitale Arbeitsplattform die Freiheit des Plattformbeschäftigten einschränkt, die eigene Arbeit zu organisieren. Dies umfasst die Annahme und Ablehnung von Aufgaben, die Arbeitszeit und die Möglichkeit eigene Beschäftigte oder Subunternehmen einzusetzen. Auch soll in den Erwägungsgründen aufgeführt werden, dass die Indikatoren nicht für Situationen gelten, in denen die Personen, die Plattformarbeit leisten, echte Selbständige sind.

Zeit wird knapp

Um den Gesetzgebungsprozess noch in dieser Legislaturperiode abschließen zu können, müssen sich Rat und Parlament bis Ende Februar einigen.