Die Anwendung des unverbindlichen Verfahrens war bisher inkonsistent.

HS – 01/2024

Das Spitzenkandidatensystem ist ein politischer Prozess, der darauf beruht, dass die europäischen politischen Parteien vor der Europawahl eine oder mehrere Personen nominieren, die ihre jeweiligen Kampagnen anführen und die sie im Fall eines Wahlsiegs als Präsidentin oder Präsident der Europäischen Kommission unterstützen. Das Verfahren fand erstmals 2014 Anwendung, ist allerdings nicht in den Verträgen verankert und demnach nicht rechtlich bindend.

Erfolg und Misserfolg des Spitzenkandidatenverfahren

Die Idee hinter dem Spitzenkandidatenverfahren war und ist, dass so der Auswahlprozess des Präsidenten beziehungsweise der Präsidentin der Europäischen Kommission transparenter und verständlicher wird. Gleichzeitig lässt sich argumentieren, dass der Kommissionspräsident oder die -präsidentin auf diese Weise an demokratischer Legitimität gewinnt, da den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit gegeben wird, die Wahl der Spitze der EU-Exekutive zu beeinflussen.

Allerdings wurde das Spitzenkandidatenverfahren bisher nur unzuverlässig umgesetzt. 2014 wurde Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), die die meisten Stimmen auf sich vereinte, tatsächlich Präsident der Europäischen Kommission. Bei den letzten Europawahlen 2019 dagegen wurde das Verfahren nicht beachtet: Statt Manfred Weber, dem Spitzenkandidaten der EVP - die erneut stärkste Kraft wurde - wurde Ursula von der Leyen Präsidentin der Europäischen Kommission, ohne vorher Spitzenkandidatin gewesen zu sein.

Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten 2024

Nicht alle europäischen Parteien unterstützen das Spitzenkandidatenverfahren. So nominieren etwa die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die Identität und Demokratie Partei (IDP) keine. Die EVP wird bei ihrem Parteikongress am 06. und 07. März 2024 einen Spitzenkandidaten bzw. eine Spitzenkandidatin nominieren, die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) am 20. und 21. März. Die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) nominiert am 01. und 02. März, es gab bis zur Bewerbungsfrist am 17. Januar 2024 allerdings nur einen Bewerber, den aktuellen luxemburgischen EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte Nicolas Schmit. Seine Nominierung beim Parteikongress darf daher als gesichert gelten.

Das Spitzenkandidatenverfahren als Teil einer EU-Wahlreform

Das Europäische Parlament plädiert dafür, das Spitzenkandidatenverfahren verbindlich anzuwenden. Entsprechend ist die Verankerung des Systems Teil der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 03. Mai 2022, welche mit dem Ziel der Vereinheitlichung auf eine Überarbeitung der Vorschriften zur Europawahl abzielt. Das Spitzenkandidatenverfahren verknüpft das Europäische Parlament in dieser Entschließung mit der Forderung nach EU-weiten Listen, über die – neben den weiter bestehenden nationalen Wahlkreisen – 28 zusätzliche Abgeordnete gewählt werden sollen und welche von der jeweiligen Kandidatin beziehungsweise dem Kandidaten für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission angeführt werden.

Allerding gab es zu diesen Vorschlägen bisher keine Einigung im Rat, weshalb die Vorschläge bei der Europawahl 2024 nicht zur Anwendung kommen.