Anreizsysteme in der Arzneimittelreform
Keine Einigkeit bei Fragen zu Zugang zu Arzneimitteln.
CC – 06/2024
Die Gesundheitsministerinnen und -minister der Europäischen
Union haben bei ihrem Treffen in Luxemburg am 21. Juni Farbe bekennen müssen.
In einem öffentlichen Tagesordnungspunkt wurde gleich zu Beginn der Ratssitzung
über die Ausgestaltung der Anreizsysteme im Rahmen des von der Europäischen
Kommission im April 2023 vorgeschlagenen Arzneimittelpakets diskutiert. Im
Mittelpunkt stand die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene
Neugestaltung des Anreizsystems für Arzneimittel und die Optionen, um Anreize
durch Unterlagenschutz und Marktschutz zu schaffen. Beide Rechte schützen die
exklusive Vermarktung durch den Hersteller und sollen die Amortisation seiner
Investitionen für das neue Arzneimittel sicherstellen. Sie bieten damit einen
Anreiz für die Entwicklung weiterer Arzneimittel.
Rund zwanzig Ratsarbeitsgruppen haben bisher zu der Reform getagt.
Der Fortschrittsbericht und das Hintergrundpapier machen deutlich, wie schwierig es ist, eine gemeinsame Linie der
Mitgliedstaaten zu finden. Ziel der Diskussion ist es, den Rahmen abzustecken,
innerhalb dessen ein Kompromiss über neue Regelungen zum regulatorischen Unterlagenschutz
und zum Marktschutz möglich ist, und den Ratsarbeitsgruppen eine Orientierung
zu geben.
Zur Erinnerung
Die Europäische Kommission hat in ihrem Verordnungs- und
Richtlinienvorschlag für die Arzneimittelreform die Einführung eines
differenzierten Anreizsystems für Arzneimittelhersteller vorgeschlagen. Die
regulatorischen Schutzfristen werden an Bedingungen geknüpft: Die Vermarktung
in allen 27 EU-Mitgliedstaaten, die Befriedigung von ungedeckten Bedarfen, die
Durchführung von vergleichenden klinischen Prüfungen und das Auffinden weiterer
Indikationen für ein Arzneimittel. Insgesamt sieht der Vorschlag eine Verkürzung
des Unterlagenschutzes eines Arzneimittels um zwei Jahre vor, um eine frühere
Markteinführung von erschwinglicheren Generika und Biosimilars zu ermöglichen.
Von einer generellen Verkürzung der Schutzfristen kann man dennoch nicht
sprechen, denn wenn ein Arzneimittel alle Bedingungen erfüllt, kann der Exklusivitätsschutz
maximal zwölf Jahre betragen. Heute sind es elf Jahre. Auch bei Arzneimitteln für
seltene Leiden („Orphans“) wird die Standard-Marktexklusivität um ein Jahr von
bisher zehn auf neun Jahre verkürzt. Insgesamt können aber Schutzfristen von
maximal 13 Jahren statt heute zehn Jahren gewährt werden, wenn auch hier
zusätzliche Bedingungen erfüllt werden.
Das Europäische Parlament hat in seiner Position die
Einführung eines Mindestzeitraums von siebeneinhalb Jahren für den
regulatorischen Unterlagenschutz sowie einen zweijährigen Marktschutz im
Anschluss an eine Zulassung gefordert. Die Staffelung der Anreize wollen sie ebenfalls
anpassen (siehe hierzu auch DSV-News).
Zur Diskussion
Die Diskussion im Rat brachte zwar eine gewisse
Orientierung, aber eine gemeinsame Linie war nicht erkennbar. Vielmehr haben sich
zwei Lager herausgebildet. Auf der einen Seite vor allem osteuropäische
Mitgliedstaaten wie Tschechien, Lettland und Polen, die Schwierigkeiten
haben, selbst kostengünstige Arzneimittel wie Generika zu erhalten, und auf der
anderen Seite industriefreundliche und für Arzneimittelhersteller
„attraktivere“ Mitgliedstaaten wie Frankreich, Deutschland und Dänemark.
Während die einen eine Verkürzung des Unterlagenschutzes auf sechs Jahre
begrüßten, forderten die anderen keine Verkürzung und die Beibehaltung des
„Status quo“ von acht Jahren. Grundsätzlich sprachen sich die meisten
Ministerinnen und Minister jedoch für eine Modulation des Anreizsystems, wie
von der Kommission vorgeschlagen, aus, sofern der Rechtsrahmen klar und
vorhersehbar ist und dem Innovationsbedarf Rechnung trägt.
Eine weitere Diskussion betraf den Zugang zu Arzneimitteln.
Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass Arzneimittelhersteller eine zusätzliche
Marktexklusivität von zwei Jahren erhalten, wenn sie das Arzneimittel in allen
27 EU-Mitgliedstaaten vertreiben. In der Orientierungsaussprache wurde diese Lieferverpflichtung
weiterhin von einigen Mitgliedstaaten unterstützt. Andere, darunter
Deutschland, favorisieren eine von den Anreizen der zusätzlichen
Marktexklusivität entkoppelte Option, bei der die Hersteller verpflichtet
werden, mit den Mitgliedstaaten zu verhandeln, die zuvor einen Antrag auf
Preisfestsetzung und Kostenerstattung gestellt haben.
Die ungarische Ratspräsidentschaft wird die Verhandlungen
nun weiterführen. Es ist noch ein langer Weg zu einer gemeinsamen Linie im Rat.