EU-Parlament möchte Verhandlungen mit der Kommission zügig abschließen.

HS – 10/2024

Bereits vor den Europawahlen 2024 hat das Europäische Parlament eine Reform seiner Geschäftsordnung beschlossen, um seine institutionelle Rolle und Handlungsfähigkeit zu stärken (siehe News 04/2024). Während die neuen Regeln offiziell zum Start der neuen Legislaturperiode im Juli 2024 in Kraft getreten sind, können die darin enthaltenen Änderungen zur interinstitutionellen Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission nur umgesetzt werden, wenn auch die aktuelle Rahmenvereinbarung aus dem Jahr 2010 zwischen Europäischem Parlament und Kommission neu verhandelt wird.

Stärkung der institutionellen Rolle des Europäischen Parlaments

Ein Fokus des Parlaments liegt auf der Stärkung seiner Rolle im Gesetzgebungsprozess. Vor diesem Hintergrund sieht die überarbeitete Geschäftsordnung einen neuen Mechanismus vor, der die Europäische Kommission und die im Rat der Europäischen Union (EU) versammelten Mitgliedstaaten zu mehr Rechenschaft verpflichtet. Dies gilt mit Blick auf Artikel 122 AEUV, nach dem die Europäische Kommission dem Rat Beschlussvorschläge zur Bewältigung gravierender Schwierigkeiten in den Mitgliedstaaten unterbreiten kann, zum Beispiel im Fall von Naturkatastrophen oder einer Unterbrechung in der Versorgung mit bestimmten Waren.

Vermehrte Nutzung des Notstandsartikels durch Kommission

Obgleich dieser Artikel 122 AEUV ursprünglich nur in bestimmten Ausnahmesituationen angewandt werden sollte, beruft sich die Kommission zunehmend darauf. In den vergangenen Jahren haben Kommission und Rat vermehrt Maßnahmen auf dieser Basis beschlossen, etwa die gemeinsame Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie sowie Finanzhilfen im Rahmen von „NextGenerationEU“ und dem Kurzarbeitergeld-Instrument SURE. Anders als im üblichen Gesetzgebungsprozess ist das Parlament bei Entscheidungen unter Artikel 122 AEUV weitgehend außen vor, weshalb es in der neuen Rahmenvereinbarung Regeln festschreiben will, die ihm eine stärkere Kontrolle über die Anwendung des Artikels erlauben.

Maßnahmen gegen zu viel EU-Bürokratie

Umstritten mit Blick auf die Überarbeitung der Rahmenvereinbarung waren im Europäischen Parlament Maßnahmen für den Bürokratieabbau. Das Parlament hat kein Initiativrecht, es kann also nicht initiativ Gesetze initiieren, ändern oder abschaffen. Diese Aufgabe liegt allein bei der Europäischen Kommission. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Volkspartei (EVP), die das Thema EU-Bürokratieabbau schon im Europawahlkampf zu ihrem Thema gemacht hatte, im Zuge der Überarbeitung der Rahmenvereinbarung für eine Stärkung des Ausschusses für Regulierungskontrolle (Regulatory Scrutiny Board) geworben. Dieser Ausschuss ist ein eigenständiges Gremium innerhalb der Kommission und unterstützt bei Folgenabschätzungen im Frühstadium des Gesetzgebungsprozesses.

Zu starker Eingriff in Exekutivkompetenzen der Kommission?

Die Sozialdemokraten (S&D) haben sich gegen die Forderung nach einer Stärkung des Ausschusses ausgesprochen, da dies als starker Eingriff in die Exekutivkompetenzen der Kommission hätte gewertet und vor dem Europäischen Gerichtshof angegriffen werden können. Stattdessen solle in der neuen Rahmenvereinbarung eine Art Selbstverpflichtung der Kommissionenthalten sein, nach der sie das Festhalten an einzelnen bestehenden Rechtsakten begründen muss. Seitens der Kommission ist Bürokratieabbau ebenfalls ein Thema. So hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den designierten Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis in seinem Mission Letter beauftragt, den bestehenden EU-Acquis zu überprüfen und entbehrliche Berichtspflichten zu streichen.

Ausblick

Für das Europäische Parlament werden der Vorsitzende der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, Bernd Lange (S&D, DE), und der Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen, Sven Simon (EVP, DE), die Verhandlungen zur neuen Rahmenvereinbarung führen. Auf Seiten der Europäischen Kommission ist Exekutiv-Vizepräsident Maroš Šefčovič zuständig, in dessen Verantwortungsbereich interinstitutionelle Beziehungen fallen. Die Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen sollten laut Parlament abgeschlossen werden, bevor die neue Kommission ins Amt kommt. Dafür ist aktuell der 1. Dezember 2024 vorgesehen.