Zufriedenheit mit sozialer Absicherung
OECD-Vergleich zwischen Frankreich, Deutschland und Großbritannien zeigt deutliche Unterschiede.
VS – 10/2024
In einer aktuellen Studie hat die „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD)
verglichen, wie zufrieden die Menschen in Frankreich, Deutschland und
Großbritannien mit dem Sozialschutz sind. Anhand neuer Daten aus der
OECD-Erhebung „Risks that Matter 2022“ wird die Einstellung zu Sozialprogrammen
in den Bereichen Familienpolitik, Beschäftigungsförderung, Bildung,
Arbeitslosigkeit, Wohnen, Gesundheit und Rente analysiert. Im Vergleich sind
die französischen Befragten durchweg am wenigsten zufrieden, obwohl Frankreich
laut OECD bei vielen Ergebnisindikatoren der Sozialprogramme gut abschneidet
und die soziale Absicherung mit Deutschland vergleichbar ist. Um diese
Unterschiede in der Zufriedenheit der Befragten zwischen den drei Ländern
besser zu verstehen, haben die Autorinnen und Autoren verschiedene Faktoren untersucht,
die Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Sozialschutz haben.
Geringe Zufriedenheit in Frankreich
Nur 28 Prozent der Befragten in Frankreich geben im Jahr
2022 an, dass sie mit den Leistungen des Sozialschutzes in den untersuchten
Politikbereichen im Durchschnitt zufrieden oder sehr zufrieden sind. In
Deutschland liegt der Anteil bei 37 Prozent und in Großbritannien bei 38
Prozent.
Dabei
unterscheidet sich die Risikowahrnehmung in den drei Ländern kaum. Bei der
Einschätzung der verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Risiken, wie zum
Beispiel dem Verlust des Arbeitsplatzes oder unzureichendem Einkommen, zeigen
sich in den nächsten Jahren kaum signifikante Unterschiede. Anders bei der Sorge
um den Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung. Hier zeigen sich die
Befragten in Großbritannien mit 71 Prozent deutlich besorgter als in Frankreich
mit 65 Prozent und in Deutschland mit 56 Prozent.
Am Sozialschutz liegt es nicht
Die Zufriedenheit
mit den sozialen Sozialschutzsystemen ist auch nicht auf den Umfang und die
Ausgestaltung der sozialen Absicherung zurückzuführen. Die Analysen der OECD zeigen,
dass beispielsweise in Frankreich nur 17 Prozent der Befragten mit der Rente
zufrieden sind, obwohl die Rentenansprüche dort am höchsten sind. Auch
schneidet Frankreich bei den meisten OECD-Indikatoren zu Gesundheitsleistungen
vergleichsweise gut ab. Dennoch liegen die Zufriedenheitswerte hier nur bei 14
Prozent. Im Vergleich zu den 47 Prozent in Deutschland ist das extrem niedrig.
Selbst unter Berücksichtigung der höheren Ausgaben und der höheren Ärztedichte
in Deutschland ist der Unterschied auffällig. Besonders bemerkenswert ist ebenfalls,
dass in Großbritannien, das bei den objektiven Indikatoren zur
Gesundheitsversorgung von den drei Ländern am schlechtesten abschneidet, der
Anteil der zufriedenen Befragten mit 43 Prozent dreimal so hoch ist wie in
Frankreich.
Die
OECD hebt in ihrer Analyse hervor, dass in Frankreich die Pro-Kopf-Ausgaben für
Sozialprogramme in den untersuchten Jahren real stagnierten. In Deutschland
hingegen sind sie in einigen Bereichen, insbesondere bei der Familienförderung
und bei Leistungen im Zusammenhang mit Erwerbsunfähigkeit, deutlich gestiegen. Laut
OECD erklärt aber auch diese Stagnation nicht hinlänglich die verbreitete Unzufriedenheit
der Französinnen und Franzosen mit ihrem Sozialschutz. Schon gar nicht, wenn
man auf Großbritannien schaut.
Kultur und Erwartungen als Erklärung
In der
Studie wird betont, dass Frankreich in Ländervergleichen häufig eine geringe
Zufriedenheit aufweist. Hierfür wurde in der wissenschaftlichen Literatur der
Begriff „French Dissatisfaction Puzzle“ eingeführt.
Immer
noch relevant sind wahrscheinlich – so die Ansicht der Autorinnen und Autoren der
Studie - die hohen Erwartungen an den französischen Wohlfahrtsstaat. In einem
Land, in dem Gleichheit und Solidarität an erster Stelle stehen und in dem der
Staat traditionell eine sehr starke Rolle im Bereich des Sozialschutzes spielt,
reagieren die Menschen möglicherweise besonders empfindlich, wenn ihre
Erwartungen nicht erfüllt werden.
Zudem
könnten auch sozioökonomische Merkmale eine Rolle spielen. Anhängerinnen und
Anhänger rechtsradikaler und linksradikaler Parteien sowie Nichtwählerinnen und
Nichtwähler sind grundsätzlich deutlich unzufriedener mit der Sozialpolitik als
Befürworterinnen und Befürworter etablierter Parteien. Da die Gruppe der Wählerinnen
und Wähler radikaler Parteien und der Nichtwählerinnen und -wähler in
Frankreich größer ist als in Deutschland, scheint laut den Autorinnen und
Autoren diese Gruppe besonders wichtig zu sein, um die hohe allgemeine
Unzufriedenheit unter den Franzosen zu verstehen.