CCEEin Jahr Draghi-Bericht
Fokus auf gemeinsamen Kapitalmarkt.
VS – 09/2025
Anlässlich
des einjährigen Jubiläums der Veröffentlichung des Draghi-Berichts zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit fand
am 16. September eine Konferenz zum Thema statt. Der ehemalige italienische
Premierminister und ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB),
Mario Draghi, zeigte sich dort zwar ernüchtert über die bisher gemachten
Fortschritte, lobte aber die einzelnen Schritte, die die EU-Kommission in der
Zwischenzeit unternommen hat. Er kritisierte insbesondere das Reformtempo und
die Reformbereitschaft. Die EU müsse Ergebnisse in Monaten, nicht in Jahren
liefern, und bereit sein, radikale Veränderungen vorzunehmen. Die
Wettbewerbsfähigkeit, die Beseitigung von Investitionshemmnissen und der
Binnenmarkt als zentraler Absatzmarkt für europäische Produkte müssen ganz oben
auf der europäischen Agenda stehen.
Gemeinsamer Kapitalmarkt
Während
die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, auf die
erzielten Fortschritte verwies, kritisierte Draghi die anhaltende
Investitionsschwäche in Europa. Jährlich fehlen hunderte Milliarden Euro für
Digitalisierung, Dekarbonisierung, Verteidigung und Innovation. Er bemängelte
insbesondere die weiterhin bestehende Fragmentierung der Kapitalmärkte, die die
Bildung von Risikokapital behindert. Zudem wies er auf politische Blockaden
gegen gemeinsame Finanzierungsinstrumente sowie auf schleppende Reformen im
Insolvenz- und Steuerrecht hin. Er mahnte, dass Europa ohne entschlossene
Integration, klare Finanzierung und Abbau nationaler Hürden drohe, im globalen
Wettbewerb dauerhaft zurückzufallen.
Mitgliedstaaten im Fokus
Ein
Jahr nach der Veröffentlichung seines Berichts kritisierte Draghi die langsame
Umsetzung sowie den Unwillen, radikale Veränderungen anzugehen. Als Beispiel
führte er den Prozess zur Einführung einer einheitlichen europäischen
Gesellschaftsform an. Diese soll es Unternehmen ermöglichen, in allen
Mitgliedstaaten nach gleichen Regeln zu wachsen und Kapital zu mobilisieren.
Die Umsetzung steht auf der EU-Agenda. So hat Präsidentin von der Leyen in
ihrer Rede zur Lage der Union angekündigt, noch für den Herbst
einen Fahrplan für den Binnenmarkt bis 2028 vorzustellen. Aufgrund des
mangelnden politischen Willens vieler Mitgliedstaaten droht laut Draghi die
Einführung jedoch zu scheitern. Übrig bliebe dann wohl nur eine digitale
Unternehmensidentität.
Priorität europäisches KI-Ökosystem
Darüber
hinaus betonte Draghi, dass Europa schnell und entschlossen handeln und
Größenvorteile ermöglichen müsse, um in Schlüsseltechnologien wie künstlicher
Intelligenz (KI) konkurrenzfähig zu sein. Dazu seien Hemmnisse für
Investitionen zu beseitigen. Konkret fordert er Einschnitte bei der
EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie eine Pause bei der Umsetzung von
Teilen der KI-Verordnung – insbesondere der Bestimmungen für risikoreiche
Anwendungen. Damit sollen europäischen Unternehmen Zugang zu Daten und
Rechtssicherheit gewährt werden. Beides sei notwendig, damit KI-Technologien in
der EU konkurrenzfähig entwickelt werden können. Derzeit prüft die Kommission,
wie das EU-KI-Gesetz vereinfacht werden kann. Draghis Forderungen dürften die
Befürworter einer „Aussetzung“ des KI-Gesetzes in der Industrie und den
Mitgliedstaaten erneut auf den Plan rufen.
Gemeinsame Schulden
Auch
auf gemeinsame europäische Schulden kam Draghi zurück. Laut Schätzungen der EZB
seien die jährlich notwendigen Investitionen seit dem vergangenen Jahr von 800
Milliarden auf 1,2 Billionen Euro gestiegen. Aufgrund höherer
Verteidigungsausgaben müsse auch der öffentliche Anteil stärker wachsen. Zwar
vergrößern gemeinsame Schuldtitel den fiskalischen Spielraum nicht automatisch,
sie erleichtern aber Investitionen in große Projekte, die für die
Wettbewerbsfähigkeit der EU notwendig seien.
Weiterhin kein Fokus auf soziale Investitionen
In
seiner Rede erwähnte Draghi auch in einem Satz die Bedeutung von Investitionen
in Menschen für das Produktivitätswachstum und die Innovationskraft Europas. Sein
Fokus liegt jedoch eindeutig auf einem einheitlichen Kapitalmarkt und der
Förderung von Investitionen. Damit unterscheidet sich sein Ansatz weiterhin
signifikant von dem im April 2024 vorgestellten Letta-Bericht. Darin wird die zentrale Rolle von einem effektiven
sozialen Schutzsystem hervorgehoben und soziale Investitionen werden als ebenso
wichtig wie Investitionen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur
betrachtet.