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ed* Nr. 01/2018

Auf der Suche nach Lösungen – die Ebene der Mitgliedstaaten

ed* Nr. 01/2018 – Kapitel 5

Das Selbstverständnis der ­Beteiligten und die konkrete Gestaltung der Beziehungen zwischen Plattformbetreibern, -nutzern und denjenigen, die die Tätigkeit erbringen, führen zu neuartigen Beschäftigungsmodellen. Es stellt sich daher die Frage, ob soziale Sicherungssysteme, die auf traditionelle Beschäftigungsverhältnisse zugeschnitten sind, diesen neuen Formen gerecht werden oder angepasst werden müssen, um einen angemessenen Sozialschutz zu gewährleisten.  

 

Im Bereich der atypisch ­Beschäftigten werden in den Mitgliedstaaten der EU entsprechend der jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen unterschiedliche Herangehensweisen verfolgt, um den Sozialschutz auf diese Gruppe auszuweiten.1 So wird versucht, atypisch Beschäftigte, die vorab entweder keinen oder nur einen begrenzten Zugang zum Sozialversicherungssystem hatten, vollständig in das Sozialversicherungssystem einzubeziehen, z. B. durch eine güns­tigere Methode der ­Berechnung der Beitragszeiten für Teilzeit­beschäftigte für beitragsabhängige Leistungen der sozialen Sicherheit. Zum Teil wird auch versucht, befristete ­Stellen schneller in eine dauerhafte Anstellung umzuwandeln. Schließlich besteht ein weiterer Ansatz darin, Selbstständige, die wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängen, unter das für traditionelle Beschäftigungsverhältnisse geltende Arbeitsrecht zu fassen, verbunden mit den einschlägi­gen Sozialversicherungsansprüchen. 

 

Für die Gewährleistung eines angemessenen Zugangs zum Sozialschutz für Selbstständige erfolgt die Anpassung in der Regel entweder innerhalb eines Systems, z. B. durch Änderungen der Berechnungsgrundlage, Harmonisierung der Beitragssätze und Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen. Oder es wird ein mehr grundlegender Ansatz verfolgt. Dieser zielt dann auf eine umfassende Integration der Selbstständigen in die Sozialversicherung, z. B., indem ein neuer Status für Selbstständige oder neue Sozialleistungssysteme für Selbstständige etabliert werden. In einigen Mitgliedstaaten erfolgen Reformen in beiden Formen.2 

 

Weitere interessante Ansätze kommen aus Frankreich und Estland. In Frankreich wird durch das Gesetz über die Finanzierung der sozialen Sicherheit von 2017 den Plattformbetreibern die Mög­lichkeit eingeräumt, Umsatz­erklärungen anstelle des Plattform­arbeiters für diesen abzugeben. Die Plattformmitarbeiter wiederum können wählen zwischen den Sozialversicherungsregelungen und -beiträgen für Selbstständige oder der Sozialversicherung für Beschäftigte. Im letzteren Fall basieren die Beiträge auf 40 % des Umsatzes (13 % für die Vermietung von Wohnungen). Das bislang unabhängige System der Absicherung für Geschäftstreibende und Freiberufler (Régime Social des Indépendants) wird ab 2018 in den folgenden zwei Jahren in die allgemeine gesetzliche Sozialversicherung (Sécurité sociale) überführt. 

 

Estland hat im Rahmen eines „vereinfachten Besteuerungs­gesetzes“ für Selbstständige ein „unternehmerisches Einkommenskonto“ eingeführt. Es handelt sich hierbei um ein Konto, auf das eine Person ihr unternehmerisches Einkommen übertragen kann und das mit 20 % besteuert wird. Dies soll dann zwischen den Sozialabgaben, einschließlich der Krankenversicherung, den Beiträgen zur ersten und zweiten Säule der Rente und der Einkommensteuer, aufgeteilt werden. Allerdings ist diese Regelung nicht verpflichtend. 

Ausblick: Bedarf es einer europäischen Initiative?

Die Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte ist eine gemeinsame politische Verpflichtung und Verantwortung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Sie sollte entsprechend den jeweiligen Zuständigkeiten sowohl auf Unionsebene als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen. Dabei ist der Vielfalt der natio­nalen Systeme, ein­schließlich der Rolle der Sozialpartner, und den unterschied­lichen sozioökonomischen Rahmenbedingungen gebührend Rechnung zu tragen. Dies gilt auch für die Empfeh­lung der Gewährleistung eines angemessenen Sozialschutzes für alle Formen der Erwerbstätigkeit.  

 

In all den genannten Ansätzen zeigt sich, dass sich die ­Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung für die Gewährleistung eines Zugangs zu angemessenem Sozialschutz aller Erwerbstätigen bewusst sind und versuchen, die Proble­matik im Rahmen ihrer nationalen Systeme zu lösen. ­Interessant wird sein, welchen Weg die EU-Kommission ­wählen wird. Hilfreich und wünschenswert wäre eine Unterstützung der Mitgliedstaaten, z. B. durch einen ­Erfah­rungs- und Informationsaustausch zu nationalen Lösungs­modellen oder zu bewährten Verfahren. So könnten die Mitgliedstaaten voneinander lernen und in einer sich zunehmend schneller wandelnden Arbeitswelt mit neuen Entwicklungen Schritt halten, um den Zugang zu ange­messenem Sozialschutz für alle Erwerbstätigen zu gewährleisten.