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ed* Nr. 02/2017

Digitale Gesundheitsprodukte fallen unter EU-Recht

ed* Nr. 02/2017 – Kapitel 3

In der EU und auch in Deutschland wird diskutiert, wie die Prüfung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards neuer digitaler Versorgungsprodukte, etwa Apps, zu regeln sei. Vieles ähnelt den Marktzugangsregelungen für Medizinprodukte und Arzneimittel, für die es klare EU-Vorschriften gibt. Nun hat die EU auch Bestimmungen für digitale Anwendungen geschaffen.  

Sozialversicherungsträger bieten Apps an

Das Spektrum der in der gesetzlichen Sozialversicherung angebotenen mobilen Applikationen gewinnt an Vielfalt: Die gesetzliche Krankenversicherung bietet ihren Versicherten zahlreiche Informations-Apps in den Bereichen Stress, Ernährung oder Service an. Vermehrt werden Apps in den Kategorien Prävention (z. B. Impfmanager), Diagnose (z. B. Muttermalveränderungen) oder Therapie (z. B. Arzneimitteleinnahme) angeboten. Für die gesetzliche Rentenversicherung spielt die „Tele-Nachsorge“ eine große Rolle. So kann für Depressions­patienten nach einer stationären Reha­bilitation die Nachsorge mit Smartphone-Apps erfolgen. Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Präventions-Apps zur Beurteilung von Gefahren am Arbeitsplatz an.  

 

Wichtig ist eine klare Unterscheidung, ob eine App ein Medizinprodukt ist oder nicht. Denn eine Diabetes-App, die fehlerhaft Insulindosen berechnet, kann erhebliche Gesundheitsschäden hervorrufen; eine App mit Schrittzähler-Funktion hingegen nicht.  

Neue EU-Klassifizierungsregeln für Apps

Die neue EU-Verordnung für Medizin­produkte, die im Mai 2017 in Kraft getreten ist, berücksichtigt neben strengeren Marktzugangs- und Wettbewerbsbedingungen für analoge Medizinprodukte wie Hüftprothesen auch die digitalen Versorgungsprodukte. Im Sinne der Verordnung ist eine App oder eine Software ein Medizinprodukt, wenn sie eine medi­zinische Zweckbestimmung aufweist.  

 

Für eine bessere Abgrenzung und Unterscheidung gibt es neue Klassifizierungsregelungen für die Risiko­einstufung (siehe Grafik auf Seite 6) 

Für eine bessere Abgrenzung und Unterscheidung gibt es neue Klassifizierungsregelungen für die Risikoeinstufung
(Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte, Anlage VIII, Regel 11)


Mehr Sicherheit für Apps durch ­CE-Zertifizierung?

Die neuen EU-Vorschriften werden aller Voraussicht nach eine Höherklassifizierung für Apps zur Folge haben. In der Praxis erfüllt der Großteil der Apps tendenziell mindes­tens die Voraussetzungen der Risiko­klasse IIa. Diese Apps können für therapie- oder diagnosebezogene Entscheidungen relevant ein.  

 

Infolgedessen werden in die Konformi­tätsbewertungsverfahren für Apps vermehrt Benannte Stellen einbe­zogen. Somit ist gewährleistet, dass zumindest für repräsentative Apps das Qualitäts­managementsystem des Herstellers und die klinische Be­wer­tung durch eine benannte Stelle ge­prüft werden. Dies dürfte die Sicher­heit erhöhen.  

 

Für Produkte der Klasse I, bspw. Präventions-Apps für den Bereich Kardiosport, die im Wesentlichen Trainingsempfehlungen abgeben, muss auch mit der neuen Verordnung keine benannte Stelle hinzugezogen werden. Ausreichend ist eine reine Selbsterklärung des Herstellers. 

(Keine) europäische Qualitäts­standards für Gesundheits-Apps

Gesundheits-Apps, die in den Berei­chen Lebensstil und Wohlbefinden eingesetzt werden und daher kein Medizinprodukt sind, unterliegen auch weiterhin keinen sektorenspezifi­schen EU-Vorschriften. Der Versuch der Europäischen Kommission, im Zuge des Grünbuchs zu mobilen Gesundheitsdiensten Leitlinien für Qualitätskriterien für Apps aufzu­stellen, ist vorerst gescheitert.  

 

Ziel war es, eine Liste mit ­Kriterien zu erarbeiten, die Aussagen zur Transparenz und einheitlichen Quali­­tätsstandards wie Wirksamkeit, Ver­trauenswürdigkeit und Datensicherheit enthält. Eine hierfür etablierte Arbeitsgruppe, an der auch die deutsche Sozialversicherung beteiligt war, konnte keine Einigung zu einer „Positivliste von Qualitätsstandards“ erzielen. Die verschiedenen Interessenvertreter waren uneins, welche Bedingungen eine Gesundheits-App erfüllen muss, um im grenzüberschreitenden Kontext ein „EU-Güte­siegel“ zu bekommen.  

EU und Mitgliedstaaten sind gefordert

Die EU sollte von ihrem Recht Gebrauch machen und europäische Mindeststandards zu Sicherheits- und Qualitätsaspekten für digitale Gesundheitsprodukte verabschieden. Anders verhält es sich beim Zugang in die Versorgung. Die Finanzierung der Anwendungen durch die Sozialversicherungsträger und der dafür zu erbringende Nutzennachweis liegen in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten.