Wie könnte eine EU-Initiative aussehen?

SW – 12/2017

Die Europäische Säule sozialer Rechte soll mit Leben gefüllt werden. Mit den nun eingeleiteten Befragungen ebnet die Europäische Kommission den Weg, die in der Säule genannte Empfehlung Nr. 12 voranzubringen. Die Mitgliedstaaten werden hier aufgefordert, den Zugang zum Sozialschutz für alle Erwerbstätigen unabhänging von der Beschäftigungsform sicherzustellen. Die Europäische Kommission möchte wissen, ob und wenn ja, in welcher Form eine entsprechende EU-Initiative den Mitgliedstaaten helfen könnte. 

Ziel der Konsultation

Mit ihrer Konsultation, an der sich die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung beteiligen werden, möchte die Kommission Ansichten von interessierten Parteien einholen zu den Möglichkeiten, Auswirkungen und Umsetzung einer Reihe etwaiger Instrumente auf EU-Ebene im Hinblick darauf, wie eine Initiative der EU ausgestalten werden könnte.  

 

Die Kommission ist der Auffassung, dass es in vielen Mitgliedstaaten Gruppen von Erwerbstätigen gibt, insbesondere unter den neuen Formen der atypischen Beschäftigten und Selbständigen, die tatsächlich keinen hinreichenden Zugang zu Sozialschutzleistungen haben oder gänzlich davon ausgeschlossen sind. 

 

Parallel hierzu werden auch die Sozialpartner erneut zur Frage der Ausgestaltung einer möglichen EU-Initiative befragt. Bereits im Frühjahr hatte die EU-Kommission in einer ersten Phase zu einer möglichen Maßnahme der EU konsultiert. 

Wo gibt es Lücken in der Absicherung?

In einem Hintergrunddokument zur Konsultation zeigt die Kommission die nach ihrer Ansicht bestehenden Lücken bei der formellen und insbesondere bei der tatsächlichen Absicherung auf. Selbst wenn Erwerbtätige in atypischen Beschäftigungsverhältnissen oder Selbständige formell durch das Sozialschutzsystem abgesichert seien, hätten sie oft keinen tatsächlichen Zugang, weil sie die geltenden Anspruchsvoraussetzungen, wie z.B. die Dauer der Beitragszeiten, nicht erfüllten. Die Sicherung eines ausreichenden Sozialschutzes könne von kurzsichtigen Perspektiven der jeweilig Betroffenen abhängen. So würden Erwerbtätige mit geringem oder unregelmäßigem Einkommen, insbesondere Solo-Selbständige und atypisch Beschäftigte in kurzfristiger Beschäftigung, eher auf Beitragszahlungen verzichten oder diese senken. Auch bei der Übertragbarkeit sowie bei der Transparenz von Rechten und der Komplexität von Regelungen sieht die Kommission Handlungsbedarf (siehe Bericht der DSV). 

Verantwortung der Mitgliedstaaten

Die Deutsche Sozialversicherung hatte sich bereits im April im Rahmen der Konsultation zur Folgenabschätzung in der Anfangsphase mit einer Stellungnahme zu möglichen Optionen einer Initiative geäußert.  

 

Die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung hatten die Initiative der Kommission begrüßt, eine Debatte zur sozialen Absicherung verschiedener Formen der Erwerbstätigkeit anzustoßen. Gleichzeitig hatte die Deutsche Sozialversicherung aber auch darauf hingewiesen, dass die konkrete Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme und ihre Anpassung an die sich wandelnde Arbeitswelt, vor allem vor dem Hintergrund der Vielfalt und der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Systeme, den Mitgliedstaaten obliegt (die DSV berichtete). 

Anhörung der Kommission

Zur Flankierung der aktuell laufenden Konsultation hat die EU-Kommission gezielt verschiedene Gruppen von Interessenvertretern zu einer möglichen Initiative auf EU-Ebene angehört. Gesetzlichen Sozialversicherungsorganisationen aus verschiedenen Mitgliedsländern und privaten Versicherern wurde am 15. Dezember in der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung die Möglichkeit gegeben, Stellung zu beziehen. Bei dieser Gelegenheit wies die Deutsche Sozialversicherung noch einmal auf die Kompetenzverteilung hin, die es erlaubt, der Vielfalt der nationalen Systeme, den sozialpolitischen Präferenzen sowie der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht zu werden. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass der Austausch bewährter Praktiken, etwa durch die Offene Methode der Koordinierung und Peer-Review-Verfahren auf europäischer Ebene sowie Empfehlungen, z.B. für allgemeine Definitionen, die Mitgliedstaaten dabei unterstützen können, das in der Säule sozialer Rechte ausgegebene Ziel angemessenen Sozialschutzes für alle Erwerbstätigen umzusetzen. Aus Sicht der Deutschen Sozialversicherung können diese Verfahren dazu beitragen, dass die Mitgliedstaaten voneinander lernen und es ihnen so gelingt, den Zugang zum Sozialschutz in einer sich wandelnden Arbeitswelt zu gewährleisten. 

 

Die Konsultation läuft bis zum 15. Januar 2018. Bis zu diesem Zeitpunkt können Interessierte Stellung nehmen. 

Hintergrund

Die Initiative „Zugang zum Sozialschutz“ der Kommission erfolgte als Reaktion auf Bedenken von Interessenvertretern, die in der Konsultation zur Europäischen Säule sozialer Rechte geäußert wurden im Hinblick sowohl auf den Zugang zum Sozialschutz für Erwerbstätige in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und Selbständige, als auch auf die Leistungen der Arbeitsverwaltung an diesen Personenkreis. In der Europäischen Säule sozialer Rechte, die als Kompass für effiziente beschäftigungspolitische und soziale Ergebnisse dienen soll, hat die Kommission die Empfehlung ausgesprochen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unabhängig von der Art und Dauer ihrer Beschäftigungsverhältnisse, und unter vergleichbaren Bedingungen Selbständige, das Recht auf angemessenen Sozialschutz haben sollen.  

 

Die Europäische Säule sozialer Rechte berührt jedoch nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die wesentlichen Grundsätze ihrer Systeme der sozialen Sicherheit festzulegen und sie darf das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen. Es liegt daher in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, die in der Säule formulierte Empfehlung umzusetzen.