Frankreich: Protest der „Gelben Westen“
Beobachter warnen davor, die Folgen der Sozialproteste in Frankreich für die anstehende Europawahl zu unterschätzen.
GD – 11/2018
Hunderttausende Franzosen demonstrieren mehr oder weniger
friedlich gegen die für nicht unerhebliche Teile der französischen Bevölkerung
offenbar negativen Auswirkungen der Politik Emmanuel Macrons und seines
Premierministers. Das Spektrum der Protestierenden ist, nach übereinstimmenden Zeitungsberichten,
offenbar ebenso weitgefächert wie der Personenkreis der Aktiven. Nahezu das
gesamte politische Spektrum sei in der einen oder anderen Frage involviert. Das „Markenzeichen“ der Protestierer in den Straßen sind übergezogene Warnwesten in Gelb, wie sie jeder Autofahrer in seinem Fahrzeug mitführen muss.
Ein wichtiger Auslöser, wenngleich wohl nach Meinung von
Beobachtern nicht eben die Ursache, war die zusätzliche Steuerbelastung auf
Treibstoff. Dieser erreicht mit rund zwei Euro pro Liter in Frankreich
mittlerweile beträchtliche Höhen und betrifft Arbeitspendler ebenso wie
Menschen, die als Gewerbetreibende auf erträgliche Kraftstoffpreise angewiesen
sind.
Die weitgehend im Internet organisierten Proteste sind in
Frankreich neu. Nicht klassische Organisationen, wie Gewerkschaften, Kirchen
oder Interessenvereine, sondern „entrüstete Bürgerinnen und Bürger“ werfen dem
noch vor etwas mehr als einem Jahr euphorisch gewählten Präsidenten und seiner
Regierung vor, ihnen „zu viel zuzumuten“. Das Spektrum dabei reicht von der
hohen Steuerlast, dem strukturell vernachlässigten ländlichen Raum, den
spürbaren Verknappungen im einst großzügigen sozialen Gesundheitswesen mit
wachsenden Wartelisten, die Frankreich früher als „englische Krankheit“
bewertete.
Christophe Guilly, Geograf und Sozialforscher, erkennt hier
eine neu Sollbruchstelle der politischen Affinitäten. Bürgerunmut, ja Wut habe
sich an einer Vielzahl oft sozialer Fragen aufgestaut und kollidiere mit der
„Abgehobenheit“ der politisch Verantwortlichen. Lineare Sparpolitik des Staates
treffe somit Krankenhauspflege, Arztzugänglichkeit und Erwerbschancen gleichermaßen,
beschreibt er für sein Heimatland in seinem Buch „No Society – Das Ende der
westlichen Mittelschicht“.
Beobachter berichten, wie die Parteien nun versuchen, aus
dem Protest für sich Vorteile zu verbuchen. „Autofeindlichkeit“, festgemacht am
geplanten „Dieselausstieg“, ausgerechnet im Land der Diesel-PKW und kräftigen
Steuererhöhungen, verbindet sich mit sozialer Ausgrenzung, mangelnder
Zugangschancen zum Internet und infrastruktureller Verknappung im Gesundheitswesen.