Grenzgänger und Saisonarbeitskräfte in der COVID-19-Krise
Europäische Union will die Arbeitsbedingungen verbessern
TR – 07/2020
Die aktuelle Pandemie macht schon länger bestehende Schwachstellen der Arbeitsbedingungen von Grenzgängern und Saisonarbeitskräften noch deutlicher. Vor allem der europaweite Lockdown im Frühjahr diesen Jahres mit den Grenzkontrollen bis hin zur Schließung hat dies nochmal ganz drastisch gezeigt.
Bereits am 26.
März 2020 hatten die Mitglieder des Europäischen Rates in einer Gemeinsamen Erklärung formuliert: „Wir werden mit
Unterstützung der Kommission umgehend die Probleme angehen, die noch in Bezug
auf Bürgerinnen und Bürger der EU, die aufgrund geschlossener EU-Binnengrenzen
nicht in ihre Heimatländer zurückreisen können, sowie in Bezug auf Grenzgänger
und Saisonarbeitskräfte bestehen, denen es möglich sein muss, wesentliche
Tätigkeiten weiterhin auszuüben, ohne dass das Virus weiter verbreitet wird.“
Die Europäische
Kommission hat daraufhin am 30. März 2020 die ersten Leitlinien zur Ausübung der
Freizügigkeit der Arbeitskräfte während des COVID-19-Ausbruchs veröffentlicht.
Um welche Personen handelt es sich?
Insgesamt leben
und arbeiten mehr als 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Europäischen
Union (EU) in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer Staatsangehörigkeit –
doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren - das entspricht fast 4 Prozent der gesamten
erwerbstätigen Bevölkerung. Davon sind mehr als 2,3 Millionen Menschen auf
Weisung ihres Arbeitgebers mit Sitz in einem Mitgliedstaat vorübergehend in ein
anderes EU-Land entsandt, um dort Dienstleistungen zu erbringen.
Daneben gibt es
etwa 1,5 Millionen Grenzgänger, die in einem EU-Land wohnen und in einem
benachbarten berufstätig sind und täglich oder mindestens einmal pro Woche hin
und her pendeln, zum Beispiel zirka 125.000 Beschäftigte aus Polen in
Deutschland und ungefähr 52.000 aus Deutschland in Luxemburg (Eurostat, People on the move).
Saisonarbeitskräfte
üben ihre Erwerbstätigkeit nur für einen befristeten Zeitraum aus, oft unter prekären
Bedingungen (schlechte Bezahlung, unzureichende Sozialversicherung, mangelnder
Arbeitsschutz, enge Gruppenunterkünfte). In der EU werden jedes Jahr bis zu
einer Million Saisonarbeitskräfte tätig.
Nach EU-Recht
müssen mobile Arbeitskräfte genauso behandelt werden wie inländische
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dennoch stellen Arbeitsaufsichtsbehörden immer wieder Verstöße in
Bezug auf Entlohnung, Arbeitszeiten, Sicherheitsstandards, Versicherungsstatus
und Lebensbedingungen fest.
Konkrete Forderungen des Europäischen Parlamentes
Am 19. Juni
2020 nahm das Europäischen Parlament eine Entschließung mit zahlreichen Forderungen an. Als
wichtigste Maßnahmen seien umzusetzen:
- Klare
Regelungen zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme hinsichtlich
Beitragszahlung und Leistungsgewährung.
- Die
Sicherheit und Gesundheit aller Beschäftigten muss bei fairen
Arbeitsbedingungen und angemessenen Unterkünften geschützt werden.
- Die
Europäische Arbeitsbehörde (englisch: European Labour Authority, ELA) in
Bratislava muss voll einsatzfähig werden, grenzüberschreitende und nationale
Arbeitsinspektionen müssen verstärkt werden.
- EU-
und nationale Vorschriften müssen verbessert werden, missbräuchliche Praktiken
bei der Vergabe von Unteraufträgen verhindert werden.
- Alle
Arbeitskräfte müssen in einer ihnen verständlichen Sprache über Rechte,
Pflichten, Risiken und Sicherheitsvorkehrungen informiert werden.
Auch die
Internationale Arbeitsorganisation (englisch: International Labour
Organization, ILO) veröffentlichte als Sondereinrichtung der Vereinten Nationen
für Menschen- und Arbeitsrechte sowie soziale Gerechtigkeit am 23. Juni 2020
einen Bericht zum Sozialschutz für
Wanderarbeitskräfte.
Weckruf der Europäischen Kommission an die Mitgliedstaaten
Dem folgte die
Europäische Kommission und legte am 16. Juli 2020 weitere Leitlinien für die Ausübung der
Freizügigkeit der Arbeitskräfte während des COVID-19-Ausbruchs vor. Nicolas Schmit, Kommissar für
Beschäftigung und soziale Rechte, erläuterte dazu: „Unsere Leitlinien sind ein Weckruf an
die Mitgliedstaaten und Unternehmen, dafür zu sorgen, dass sie ihrer Pflicht
nachkommen, unverzichtbare, aber schutzbedürftige Arbeitskräfte zu schützen.“
Tags darauf
nahm er an der ersten Videokonferenz der Arbeits- und
Sozialminister und -ministerinnen während der deutschen Ratspräsidentschaft teil. Deren Schwerpunkte lagen auf
dem Beitrag sozialer Sicherungssysteme zur Überwindung der COVID-19-Krise,
Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie den Rechten von
Saisonarbeitskräften und mobilen Beschäftigen. Als deutscher Bundesminister für
Arbeit und Soziales konstatierte Hubertus Heil: „Alle Menschen in der EU sollen
ein sicheres und menschenwürdiges Leben führen können.“