Rahmenrichtlinie für Mindestlöhne
Schutz durch gesetzlich festgelegte Mindestlöhne oder Tarifverträge.
JS – 11/2020
Ende Oktober hat die
Europäische Kommission den lange erwarteten Vorschlag für eine EU-Richtlinie über
Mindestlöhne veröffentlicht (wir
berichteten über die vorangegangenen Schritte hier). Die Richtlinie
soll dafür sorgen, dass Arbeitskräfte Lohn in einer Höhe erhalten, der ihnen am
Ort ihrer Arbeit einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht.
In der
COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, welche Bedeutung insbesondere
Niedriglohnsektoren in der Gesellschaft haben, zum Beispiel Reinigungsdienste,
Einzelhandel, Landwirtschaft, Pflege und Gesundheitswesen. Die Europäische Kommission hat
auch im Zuge dessen die Debatte über den Wert von Arbeit vorangetrieben. Armut
trotz Erwerbstätigkeit dürfe nicht sein. Dies folgt auch aus Grundsatz 6
der Europäischen
Säule sozialer Rechte.
EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen führte hierzu bei Veröffentlichung des Vorschlages aus:
„Der heutige Vorschlag für angemessene Mindestlöhne ist ein wichtiges Signal,
das die Würde der Arbeit auch in Krisenzeiten unantastbar sein muss. Wir haben
beobachtet, dass sich Arbeit für zu viele Menschen nicht mehr lohnt.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten Zugang zu angemessenen Mindestlöhnen
und einem angemessenen Lebensstandard haben.“
Soziale und wirtschaftliche Ziele
Die angemessenen
Mindestlöhne sollen auch zur Verminderung des Gender-Pay-Gap beitragen: ein
großer Anteil der Arbeitskräfte in den genannten Niedriglohnbereichen sind
Frauen, sodass sie hiervon profitieren könnten. In herkömmlich von männlichen
Arbeitskräften dominierten Bereichen wie der Automobilindustrie bestehen oft
bereits Schutzmechanismen durch Tarifverträge.
Die Europäische Kommission sieht
den Vorschlag auch als relevant für eine nachhaltige und inklusive
wirtschaftliche Erholung: die Binnennachfrage soll gestützt und Arbeitsanreize
erhöht werden. Durch fairen Wettbewerb sollen jene Arbeitgeber geschützt
werden, die angemessene Löhne zahlen.
Keine europaweite Mindestlohnhöhe
Der Vorschlag soll
sicherstellen, dass ein angemessenes Mindestlohnniveau festgelegt wird, entweder
in Form eines gesetzlichen Mindestlohns oder durch tarifvertraglich festgelegte
Löhne. Eine Verpflichtung zur Festlegung eines gesetzlichen Mindestlohns soll
es daher nicht geben. Vielmehr sollen alle Mitgliedstaaten Tarifverhandlungen
zur Lohnfestsetzung fördern.
Auch die Höhe der
Mindestlöhne will die Richtlinie nicht vorgeben. Die Mindestlöhne sollen
„angemessen“ sein. Diese Angemessenheit orientiert sich an Kriterien wie Kaufkraft
bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Steuern und Sozialleistungen, Allgemeines
Bruttolohnniveau und Lohnverteilung und die Wachstumsrate der Bruttolöhne.
Außerdem will der
Vorschlag eine bessere Durchsetzung und Überwachung des jeweiligen
Mindestlohnschutzes einführen: die Mitgliedstaaten sollen der Europäischen Kommission
jährlich über die Situation in ihrem Land berichten.
Der
Vorschlag der Europäischen Kommission stützt sich auf Artikel 153 Absatz 1
Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) über
Arbeitsbedingungen. Die Kompetenz der EU in dieser Hinsicht ist jedoch
umstritten.
Der Vorschlag muss
nun von EU-Parlament und Rat gebilligt werden. Nach einer Annahme sind die
Mitgliedstaaten verpflichtet, die Richtlinie innerhalb von zwei Jahren in
nationales Recht umzusetzen.