Sozialpartner spielen eine zentrale Rolle, Gesetzgebung kann unterstützen.

SW – 09/2021

Digitale Technologien ermöglichen es, Arbeit jederzeit und von überall auszuführen, mit den daraus resultierenden Vor- und Nachteilen, wie zum Beispiel die „ständige Erreichbarkeit“, die zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben führen und Risiken für Gesundheit und Wohlbefinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit sich bringen kann.

Um dem zu begegnen, wird intensiv über die Notwendigkeit eines Rechts auf Nichterreichbarkeit diskutiert. Das Europäische Parlament hat im Januar 2021 in seiner Entschließung die EU-Kommission aufgefordert, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der ein Recht auf Nichterreichbarkeit verbrieft (siehe Bericht 1-2021).

Die EU-Kommission hat zwar, zuletzt im Strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2021–2027, zugesagt, angemessene Folgemaßnahmen sicherzustellen. Sie sieht aber im Grunde zunächst die Sozialpartner in der Pflicht. Diese sollten sich auf gemeinsame Lösungen für die Herausforderungen einigen, die durch Telearbeit, Digitalisierung und das Recht auf Nichterreichbarkeit entstünden und dabei auf die Rahmenvereinbarung der Sozialpartner zur Digitalisierung aufbauen.

Förderung von Tarifverhandlungen

Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hat nun in einer Studie anhand von Fallstudien die Umsetzung des Rechts auf Nichterreichbarkeit und die Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Trennung von Privat- und Berufsleben untersucht. Die Studie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass ein gesetzgeberischer Ansatz, der ein Tätigwerden der Sozialpartner fordere, deren Tarifverhandlungstätigkeit in dieser Frage fördern könne, ohne jedoch diese hinsichtlich der praktischen Umsetzung des Rechts auf Nichterreichbarkeit einzuschränken.

Die Erfahrungen der Länder, die ein solches eingeführt hätten, zeige, dass die Anzahl der Tarifverträge, die diese Frage auf sektoraler und Unternehmensebene regeln, während der Vorbereitung und nach der Verabschiedung entsprechender Gesetzgebung gestiegen seien.

Im Hinblick auf eine Umsetzung, die allein auf Aktivitäten der Sozialpartner beruhe, sei zu berücksichtigen, dass deren Stärke und die Traditionen der Arbeitsbeziehungen nicht in allen Länder gleichermaßen gewährleistet seien. In diesen Fällen könne Gesetzgebung zur Sicherstellung der Einhaltung von Mindeststandards beitragen.

Änderung der Unternehmenskultur

Auf Unternehmensebene zeige sich, dass sowohl nach Einschätzung der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmerseite die Umsetzung des Rechts auf Nichterreichbarkeit zu einer Veränderung der Unternehmenskultur und zur Erkenntnis beigetragen habe, dass die Ausweitung digitaler, flexibler Arbeit nicht mit der Erwartung einer ständigen Erreichbarkeit einhergehen sollte.

Bei der Umsetzung würden jedoch "weiche" Ansätze, wie zum Beispiel die Sensibilisierung für die Risiken ständiger Erreichbarkeit und regelmäßige Erinnerungen, dass Nachrichten außerhalb der Arbeitszeiten nicht beantwortet werden müssen, gegenüber "harten" Ansätzen in Form einer Unterbrechung der arbeitsbezogenen Kommunikation während bestimmter Zeiträume bevorzugt.

Fazit

Untersuchung zu den Auswirkungen der Telearbeit auf Arbeitszeiten, Work-Life-Balance sowie Gesundheit und Wohlbefinden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern deuten darauf hin, dass Verbesserungen bei der Durchsetzung bestehender Rechtsvorschriften erforderlich seien.

Die Auswirkungen relevanter EU-Richtlinie und der Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner über die Digitalisierung müssten bewertet werden, um festzustellen, ob sie ausreichen, den Herausforderungen zu begegnen. 

Unabhängig davon, ob Regelungen in Gesetzen oder Sozialpartnervereinbarung erfolgen, sollten Indikatoren für die Überwachung und Bewertung der Umsetzung des Rechts auf Nichterreichbarkeit formuliert werden, die helfen, möglichen Überarbeitungsbedarf festzustellen. Auch sollten die Faktoren berücksichtigt werden, die zu dem "gefühlten" Bedürfnis nach ständiger Erreichbarkeit beitragen, wie zum Beispiel die Arbeitsbelastung, mangelnde Ausbildung oder die Arbeitsabläufe, die zu einer Überlastung führen können.