
Recht auf bessere Arbeitsbedingungen für Selbständige
EU-Abgeordnete fordern Tarifverhandlungsrechte für selbständige Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer
LB – 04/2022
Ende März fand eine gemeinsame Aussprache des EU-Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) mit Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, statt. In der Debatte setzten sich die Ausschussmitglieder für Tarifverhandlungsrechte für selbständige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein – nicht nur im Bereich der Plattformarbeit.
Sozialschutz für Selbständige teilweise unzureichend
Schon 2017 hatte die Europäische Kommission im Zuge der Umsetzung der „Europäischen Säule sozialer Rechte“ eine Initiative zum Zugang zum Sozialschutz auch für Selbständige gestartet. Anlass dafür war zum einen der massive Wandel der Arbeitswelt insbesondere im Zuge der Digitalisierung, durch die ein breites Spektrum neuer Beschäftigungsformen und damit auch Anpassungsfragen für die sozialen Sicherungssysteme entstanden sind. Zum anderen hatte eine Studie der Europäischen Kommission gezeigt, dass vor allem für Selbständige und atypisch Beschäftigte der Zugang zum Sozialschutz in der Europäischen Union an vielen Stellen nicht ausreichend ist.
Verstoß gegen Wettbewerbsrecht?
Seitdem wurde viel über die unterschiedlichen Facetten des Sachverhalts diskutiert. Ein immanenter Konflikt besteht unter anderem darin, dass einerseits die Durchsetzung sozialer Rechte von Selbständigen durch Tarifverträge für diese Beschäftigtengruppe gestärkt werden könnten. Dem gegenüber steht jedoch die grundsätzliche Einstufung von Selbständigen als „Unternehmen“, für die kollektive Zusammenschlüsse und Absprachen – im Gegensatz zu entsprechenden Tarifvereinbarungen zwischen Angestellten und Arbeitgeberinnen sowie Arbeitsgebern – gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen würden.
Klarheit und Rechtssicherheit schaffen
Ende
2021 hatte die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket vorgestellt, welches
sich primär auf Plattformbeschäftigung fokussiert und einen Vorschlag für eine
Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit enthält.
Außerdem gehört zum Maßnahmenpaket ein Leitlinienentwurf zu Tarifverträgen über
die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen.
Zeitgleich zur Veröffentlichung wurde für diesen ein Konsultationsprozess gestartet – die zuständige Vizepräsidentin Vestager betonte damals: „Selbst außerhalb der Plattformwirtschaft ist es für einige Solo-Selbstständige schwierig, bei ihren Arbeitsbedingungen mitzubestimmen. Wir führen nun eine Konsultation zu einem Entwurf für Leitlinien durch, die Rechtssicherheit schaffen und klarstellen sollen, in welchen Fällen das Wettbewerbsrecht den Bemühungen dieser Menschen, durch Tarifverhandlungen ein besseres Ergebnis zu erzielen, nicht entgegensteht.“ Die Europavertretung der deutschen Sozialversicherung hatte ebenso eine Stellungnahme eingereicht.
Sozialschutz verbessern, nicht nur für selbständige Plattformbeschäftigte
Die EU-Abgeordneten nutzten nun die Gelegenheit, sich nach dem aktuellen
Stand zu den Leitlinien für Tarifverhandlungen der Selbstständigen zu
erkundigen und darüber zu diskutieren. Angesichts häufiger ungleicher
Machtverhältnisse zum Vorteil von Unternehmen sprachen sie sich dafür aus, dass
die Rechte von Solo-Selbständigen – nicht nur auf Plattformen, sondern auch bei solchen, die offline arbeiten – zur Verbesserung
ihrer Entgelt- und Arbeitsbedingungen besser geschützt werden.
Auch Fehlanreize
zur (Schein‑)Selbständigkeit müssten abgebaut werden. Alle neuen Bestimmungen müssten
rechtsklar für Verhandlungsrechte von Selbständigen sorgen. Zugleich wurde betont,
dass dadurch bestehende Tarifverhandlungsregeln sowie die Zuständigkeiten der
Sozialpartner nicht vermindert werden dürften.
Tarifverhandlung auf nationaler Ebene
Vestager versicherte den Abgeordneten, das Ziel der Leitlinien sei klarzustellen,
wann das EU-Wettbewerbsrecht nicht für Selbstständige gilt. Damit diese ohne
Sorge für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können. Sie wies zudem darauf hin,
dass Tarifverhandlungsbefugnisse und -regeln auf nationaler Ebene und nicht von
der EU festgelegt würden.
Die
Leitlinien sollen bis Ende 2022 verabschiedet werden. Sie sind für die
Europäische Kommission bei der späteren Auslegung und Durchsetzung der
EU-Wettbewerbsregeln bindend.