Finanzielle Nachhaltigkeit der Gesundheits- und Sozialsysteme gefährdet.

CC – 10/2024

Die steigenden Preise für Arzneimittel, insbesondere für innovative Therapien und Krebsbehandlungen, führen in ganz Europa zu einem Anstieg der Gesundheitsausgaben und belasten die nationalen Budgets erheblich. Dies geht aus einer Studie der European Social Insurance Platform (ESIP) und des Medicine Evaluation Committee (MEDEV) hervor, die die aktuellen Entwicklungen bei den Arzneimittelausgaben in der Europäischen Union (EU) und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) analysiert. Die Umfrage identifiziert nicht nur einen gemeinsamen Trend rasch steigender Arzneimittelkosten, sondern beleuchtet auch die zugrunde liegenden Faktoren dieses Wachstums. Darunter beispielsweise der Markteintritt teurer neuer Therapien im ambulanten Bereich, erweiterte Indikationen für kostenintensive Behandlungen sowie die demografische Alterung und den Anstieg chronischer Erkrankungen.

Kontinuierlicher Preisanstieg stationär und ambulant

Alle teilnehmenden ESIP- und MEDEV-Mitglieder berichten von einem kontinuierlichen Anstieg der Arzneimittelausgaben im stationären (Krankenhäuser und Krankenhausapotheken) und im ambulanten Bereich (verschreibungspflichtige Medikamente, die in Apotheken verkauft werden). Der tatsächliche Anstieg übersteigt teilweise die Prognosen im nationalen Jahresbudget. Der Anstieg wird primär durch höhere Preise und nicht durch das Volumen erstatteter Arzneimittel verursacht. Trotz demografischer Trends, die auf eine Zunahme der verschriebenen Arzneimittel hindeuten würden, ist der Hauptfaktor für die Ausgabensteigerung der Anstieg der Preise, insbesondere bei neuartigen, teuren Arzneimitteln.

Onkologika sind größter Ausgabentreiber

Onkologika, einschließlich Arzneimittel für seltene Erkrankungen, sind die größten Ausgabentreiber, insbesondere in Krankenhäusern. Weitere therapeutische Bereiche mit signifikanten Ausgaben sind Immunologie, Stoffwechselerkrankungen, Hämatologie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wobei besonders der ambulante Sektor betroffen ist. Besonders ausgeprägter Anstieg bei seltenen Krankheiten, sogenannten Orphan-Arzneimitteln: Die Anzahl der verfügbaren und erstattungsfähigen Orphan-Arzneimittel hat zugenommen. In einigen Fällen haben sich die Ausgaben für diese Produkte verdoppelt. So zum Beispiel in Frankreich, dort sind die durchschnittlichen Nettokosten pro Kopf für Orphan-Arzneimittel in einem Zeitraum von drei Jahren (2019-2022) um 49 Prozent gestiegen. Der Anteil der Orphan-Ausgaben an den gesamten Arzneimittelausgaben wächst ebenfalls.

Angespannte Gesundheitsbudgets durch Arzneimittelkosten sind kein Einzelfall

Während sich die politischen Diskussionen auf die Reindustrialisierung Europas und die Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren, stehen die nationalen Krankenversicherungen vor einer erheblichen Herausforderung in Bezug auf die finanzielle Nachhaltigkeit. Die Daten zeigen, dass steigende Arzneimittelkosten nicht nur einzelne Mitgliedstaaten in Europa betreffen, sondern alle, von Österreich über Zypern bis hin zu Finnland. Nachhaltige Lösungen sind gefordert, um diese Probleme zu bewältigen. Aus Sicht von ESIP und MEDEV – und der DSV als Mitglied der beiden Organisationen – müssen Innovation im Arzneimittelmarkt evidenzbasiert und erschwinglich sein, sonst steht die finanzielle Nachhaltigkeit unserer Gesundheits- und Sozialsysteme auf dem Spiel.

Blick auf Deutschland

In Deutschland sind die Ausgaben für ambulante Arzneimittel im Zeitraum von 2019 bis 2023 um 22 Prozent gestiegen – von 41 Milliarden Euro auf 50 Milliarden Euro. Die Entwicklungen belasten die Gesundheitsbudgets erheblich und damit auch die Menschen, die sie finanzieren. Beitragszahlerinnen und -zahler müssen mit steigenden Kosten rechnen. Dies wird durch die am Montag veröffentlichte Prognose des GKV-Schätzerkreises untermauert. Demnach müssen die Krankenversicherungsbeiträge um 0,8 Prozentpunkte steigen, um ein Milliarden-Defizit im Gesundheitssystem auszugleichen, wie das Expertengremium mitteilte. Arbeitnehmende und Arbeitgebende sehen sich der größten Erhöhung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gegenüber. Der Grund für diesen massiven Anstieg sind die stark steigenden Kosten für Arzneimittel, aber auch für andere Bereiche wie der krankenhausbezogenen Versorgung oder Mehrausgaben für die Pflegeversicherung.


Dr. Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, bringt es in einer Pressemitteilung auf den Punkt: „Das Gesundheitswesen kann langfristig nur funktionieren, wenn es medizinisch, pflegerisch und ökonomisch im Gleichgewicht ist. Alles andere ist für die Beitragszahlenden nicht mehr tragbar und nützt langfristig auch den Patientinnen und Patienten nicht.“