Das 28. (Unternehmens-)Regime
Ein neues Statut soll helfen, Fragmentierungen im Recht der Mitgliedstaaten zu überwinden.
UM – 11/2024
Mit einem Bekenntnis zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union (EU) hat der designierte Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit, Michael McGrath, am 5. November anlässlich seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament die Ausarbeitung eines Vorschlags für einen neuen EU-weiten Unternehmensrechtsstatus angekündigt. Im Rahmen dieses 28ten Regimes soll über die Grenzen hinweg für innovative Unternehmen ein einheitliches Recht in Schlüsselbereichen wie dem Gesellschafts-, Arbeits- und Steuerrecht, aber auch dem Insolvenzrecht geschaffen werden. Die Deutsche Sozialversicherung sieht hier Chancen für eine gezielte Weiterentwicklung des Insolvenzrechts, das den Belangen der Sozialkassen Rechnung trägt und die zweckgebundenen Beitragsmittel schützt. Die Initiative würde zudem der ins Stocken geratenen Gesetzgebung zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts neuen Schub verleihen.
Der Anspruch ist hoch, die Bedenken auch
Für das Statut des 28. Regimes sollen sich Unternehmen freiwillig entscheiden können. Das werden sie nur tun, wenn der einheitliche Rechtsrahmen, der neben das nationale Recht gestellt wird, Vorteile mit sich bringt. An das neue Rechtsstatut sind somit hohe Ansprüche geknüpft. Soll es Erfolg haben, muss es einen echten Mehrwert bieten. Es muss zur Vereinfachung für unternehmerisches Handeln beitragen und deren Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität steigern. Insbesondere aber muss es den Widerstand der Mitgliedstaaten ausräumen, die Bedenken haben, dass sich Unternehmen aus dem eigenen nationalen Rechtsrahmen verabschieden könnten. Zumal McGrath auch prüfen will, das 28. Regime nicht nur auf besonders innovative Unternehmen anzuwenden, sondern gegebenenfalls breiter. Unterstützt wird die Idee jedoch durch den kürzlich veröffentlichten Draghi-Bericht über die „Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“. In diesem wird die Rechtsform einer „Innovativen Europäischen Gesellschaft (IEG)“ für innovative Start-ups vorgeschlagen.
28. Regime und Insolvenzrecht
Eine besondere Anforderung stellt sich dadurch, dass seit der letzten Legislaturperiode der Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung des Insolvenzrechts in der Welt ist. Ein Vorschlag für ein 28. Regime muss die Übereinstimmung mit der Überarbeitung des Insolvenzrechts gewährleisten. Was für den neuen Kommissar auch bedeuten kann, einen ganz neuen Vorschlag ins Spiel zu bringen. Denn mit dem aktuellen Vorschlag tut sich die Politik schwer. Und da jeder Mitgliedstaat aus seiner Sicht das beste Insolvenzrecht hat, ist die Konsensfindung nicht einfach.
Dennoch ist allen Beteiligten bewusst – die Fragmentierung des Insolvenzrechts ist eines der Haupthindernisse für eine echte Kapitalmarktunion. Nicht ohne Grund hat der Europäische Rat den Insolvenzvorschlag auf seiner Tagung im April als vorrangige Aufgabe bezeichnet und in seinen Schlussfolgerungen zur unverzüglichen Fortsetzung der Arbeit aufgerufen. Das gilt auch für das Europäische Parlament, wo es im zuständigen JURI-Ausschuss in der letzten Legislaturperiode nicht einmal zu einem Bericht gereicht hat.
Chancen
Die Haltung der deutschen Sozialversicherung ist bekannt: Die Überarbeitung des Insolvenzrechts sollte dazu genutzt werden, das geleistete Sozialversicherungsbeiträge besser vor dem Zugriff von Insolvenzverwaltern und damit vor Zweckentfremdung geschützt werden. Hierzu hatte die DSV im März des letzten Jahres eine Änderungsvorschlag unterbreitet. Die Arbeit am 28. Regime könnte weitergehende Impulse geben, den Umgang mit den Ansprüchen von Sozialversicherungsträgern in Insolvenzverfahren europaweit zu vereinheitlichen. Zum Beispiel durch die Priorisierung von Forderungen, die sozialstaatliche Zwecke erfüllen.