
Arzneimittelreform
Mitgliedstaaten einigen sich auf Position – Trilog kann starten.
CC – 06/2025
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich auf
eine Position zur Arzneimittelreform verständigt. Am 4. Juni wurde der
Kompromissvorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft im Ausschuss der
Ständigen Vertreter (COREPER, AStV) zur Richtlinie und zur Verordnung angenommen. Zwei Jahre nach Vorlage des Entwurfs durch die Europäische
Kommission kann damit der interinstitutionelle Trilog starten.
Kompromissfindung gestaltete sich schwierig
Nach dem gescheiterten Kompromissversuch Ende Mai hatten die
Polen ihren Vorschlag noch einmal überarbeitet und sich dabei
industriefreundlicher positioniert. Zu den umstrittenen Punkten zählten zuletzt
die Schutzzeiten für Arzneimittel, der übertragbare Exklusivitätsgutschein
sowie die Bolar-Ausnahme – Aspekte, die auch für die deutschen
Sozialversicherungsträger von Bedeutung sind. Mit der nun verabschiedeten
Fassung konnten die Mitgliedstaaten einen Konsens finden, der den Weg für die
weiteren Verhandlungen frei macht.
Schutzzeiten sollen angepasst werden
In ihrer gemeinsamen Position spricht sich der Rat für die
Beibehaltung des bisherigen Unterlagenschutzes von acht Jahren aus. In diesem
Zeitraum dürfen Hersteller von Generika oder Biosimilars keine
Zulassungsanträge einreichen, die auf die Daten des Originalpräparats gestützt
sind. Die Marktexklusivität, also der Zeitraum, in dem ein neues Arzneimittel
exklusiv vermarktet werden darf, soll hingegen von derzeit zwei auf ein Jahr
verkürzt werden. Sie kann jedoch um ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn
ein Produkt einen ungedeckten medizinischen Bedarf adressiert oder einen neuen
Wirkstoff enthält und bestimmte Bedingungen erfüllt sind: etwa die Verwendung
eines evidenzbasierten Vergleichspräparats, eine klinische Studie in mehreren
Mitgliedstaaten sowie eine vorrangige Einreichung des Zulassungsantrags bei der
Europäischen Arzneimittelagentur (EMA).
Die regulatorische Marktexklusivität kann um ein weiteres
Jahr verlängert werden, wenn während des Unterlagenschutzes eine zusätzliche
Indikation mit signifikantem klinischen Zusatznutzen gegenüber bestehenden
Therapien zugelassen wird. Zudem wird eine Obergrenze für die Marktexklusivität
eingeführt: Sie darf zwei Jahre nach Ablauf des Unterlagenschutzes nicht
überschreiten – außer im Fall einer neuen Indikation, dann sind bis zu drei
Jahre erlaubt.
Das Ringen um den „Status Quo“
Die Position des Rates sieht somit weiterhin eine maximale
Schutzdauer von elf Jahren vor und bleibt damit strukturell nahe an der derzeit
geltenden Regelung, dem „Status quo“ (acht Jahre Unterlagenschutz + zwei Jahre
Marktschutz + ein Jahr Marktschutz für eine zusätzliche neue therapeutische
Indikation).
Die Europäische Kommission hatte hingegen eine stärker
modulierte Schutzdauer vorgeschlagen: sechs Jahre Basis-Unterlagenschutz und
zwei Jahre Marktexklusivität, ergänzt durch bis zu vier Jahre Verlängerung des
Datenschutzes bei Erfüllung bestimmter Kriterien – wie Marktzugang in allen
EU-Staaten, zusätzlicher Indikation oder Vergleichsstudien. So wären maximal
zwölf Jahre Schutz möglich.
Das Europäische Parlament schlägt als Kompromiss 7,5 Jahre
Unterlagenschutz vor, verlängerbar auf bis zu 8,5 Jahre, sowie zwei Jahre
Marktexklusivität, mit einer möglichen Verlängerung auf drei Jahre bei
deutlichem Zusatznutzen. Insgesamt ergäbe sich damit eine maximale Schutzdauer
von 11,5 Jahren.
Exklusivitätsvoucher sollen eingeschränkt bleiben
Die von der Kommission vorgeschlagene Einführung sogenannter
„Voucher“ wird auch vom Rat unterstützt. Für einen Gutschein soll ein
zusätzliches Jahr Unterlagenschutz gewährt werden. Der Rat hat jedoch eine neue
Klausel eingeführt, wonach ein übertragbarer Gutschein nur im fünften Jahr des
regulatorischen Unterlagenschutzes verwendet werden darf. Voraussetzung ist,
dass der Zulassungsinhaber nachweisen kann, dass der jährliche Bruttoumsatz des
Produkts in der EU in keinem der vorangegangenen vier Jahre 490 Millionen Euro
überschritten hat. Die maximale Anzahl ausstellbarer Gutscheine soll von den
ursprünglich von der Kommission vorgeschlagenen 15 auf fünf reduziert werden.
Aus Sicht der DSV bleiben die Gutscheine jedoch trotz
begrenzter Anzahl und Einlösbarkeit problematisch. Statt Vouchern sollten auf
EU-Ebene umsetzbare Instrumente im Rahmen eines „Push-and-Pull-Schemas“
entwickelt werden.
Bolar-Ausnahme soll erweitert werden
Auch die Bolar-Ausnahme wurde vom Rat erweitert. Sie erlaubt
es, für Generika und Biosimilars bereits vor Ablauf des Patents Vorbereitungen
für Zulassung, HTA-Bewertung sowie Preisfestsetzung und Erstattung zu treffen.
Die Mitgliedstaaten haben sich darauf verständigt, den Anwendungsbereich zu
konkretisieren und dahingehend zu erweitern, dass auch die Einreichung von
Angeboten im Rahmen von Ausschreibungen unter die Ausnahme fällt. Ein Vorgehen,
das von der DSV positiv bewertet wird.
Ausblick auf den Trilog
Am 17. Juni fand die erste Trilog-Sitzung zwischen Rat,
Parlament und Kommission statt. Dabei handelte es sich jedoch nur um einen
symbolischen Auftakt, der nicht über ein kurzes Händeschütteln und erste Stellungnahmen
hinaus ging. Die weiteren Verhandlungen werden unter der Leitung der dänischen
Ratspräsidentschaft fortgeführt.
Grundsätzlich liegen die Positionen der Institutionen nicht
allzu weit auseinander, sodass ein Kompromiss, möglicherweise noch bis Ende des
Jahres, erzielt werden kann.
Hervorzuheben ist, dass sich seit Vorlage des
Kommissionsentwurfs im Jahr 2023 die geopolitischen Rahmenbedingungen spürbar
verändert haben. Diese Entwicklungen spiegeln sich insbesondere in der Position
des Rates wider: Die Mitgliedstaaten betonen inzwischen deutlich stärker
Aspekte wie Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit, während
umweltpolitische Anforderungen in den Hintergrund treten.