Magazine ed*
ed* Nr. 01/2017

Die EU-Kommission will eine
„Säule sozialer Rechte“ schaffen

Was bedeutet die Initiative für die Zukunft der Sozialsysteme?
Eine Sicht aus Deutschland.

ed* Nr. 01/2017 – Kapitel 2

 

Im Frühjahr 2016 hat die EU-Kommission ihre ersten Überlegungen zu einer Säule sozialer Rechte1 vorgelegt. Dieses mit großem öffentlichem Interesse verfolgte Konzept sollte der breiten Skepsis in Europa begegnen, ob die europäischen Institutionen in der Lage sind, für soziale Gerechtigkeit, allgemeinen Wohlstand und faire Bedingungen für die Bürgerinnen und Bürger in der EU zu sorgen. Seitdem sind einige Eckpfeiler deutlicher geworden und es scheint inzwischen unbestritten, dass die Säule nicht das ist, wonach sie zunächst klingt, nämlich ein Paket einklagbarer individueller Rechte. Vielmehr formuliert sie eine Reihe von Kriterien zur Bewertung der mitgliedstaatlichen Beschäftigungs- und Sozialpolitiken. Der Grad ihrer Verbindlichkeit kann je nach Sektor sehr unterschiedlich ausfallen.  

 

Die EU-Kommission hat bereits einen Entwurf von Prinzi­pien formuliert, unterteilt in verschiedene Politikfelder, von denen insbesondere die zu Gesundheit und Pflege, Rente und Pensionen, Arbeitsschutz sowie Leistungen für Menschen mit Behinderungen für die gesetzliche Sozial­versicherung von Interesse sind2. Die Prinzipien bilden zusammengenommen die Konturen des europäischen Sozialmodells ab, wie sie in Brüssel in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelt wurden. Im Ergebnis stellen sie an einigen Stellen den schon in verschiedenen Mitgliedstaaten erreichten sozialen Fortschritt wieder infrage. Wie diese Prinzipien am Ende aussehen sollen, ist aktuell noch unklar, aber auch deren Umsetzung scheint noch ungewiss zu sein. 

Arbeitslosigkeit, Europa, Statistik, Eurostat
EurostatArbeitslosigkeit in der EU im Dezember 2016

 

Zur Umsetzung kommen im Wesentli­chen nur zwei Instrumente in Betracht: Benchmarks und rechtlich verbindliche Mindeststandards. Unter Benchmarks sind quantitative Richtgrößen zu verstehen bzw. im Wortlaut der Kommissions-Mitteilungen (indikatorengestützte) „Referenzkriterien“. Sie bieten die Chance, hohe Ziele zu setzen, zu messen an „den Besten“. Schon in der Vergangenheit hat sich Europa soziale, quantitative Ziele gesetzt, etwa auf den Gebieten der Kinderbetreuung, der Bekämpfung von Jugendarbeits­losigkeit und des Armutsrisikos. Man könnte im Rahmen der ­Europäischen Säule durchaus noch weitere Benchmarks hinzufügen und zum Bestandteil der Strategie „Europa 2020“ machen. Vor allem könnten diese sozialen Zielgrößen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts als Gegengewicht zu rein fiskalischen Messgrößen eingesetzt werden. Aber: Benchmarks sind nicht rechtsverbindlich. 

 

Genau umgekehrt verhält es sich bei Mindeststandards. Sie sind im europäischen Recht zu verankern und damit verbindlich. Ein Beispiel sind die heute schon geltenden europäischen Mindeststandards auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes. Jeder Mitgliedstaat kann dann höhere Standards setzen, was nicht selten geschieht. Aber es besteht natürlich auch die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten sie als Zielgröße ansehen. Deshalb ist ein angemessenes Niveau der Mindeststandards wichtig.  

Die Europäische Säule sozialer Rechte soll 20 Themenbereiche formulieren, die sich in drei Kapitel gliedern.