Alterssicherung
ed* Nr. 01/2017 – Kapitel 7
Unstrittig ist es das Ziel eines jeden Alterssicherungssystems, einen angemessenen Lebensstandard im Alter unter Berücksichtigung der finanziellen Tragfähigkeit zu sichern. Was dies aber konkret bedeutet und welche Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels zu ergreifen sind – darüber können die Meinungen weit auseinander liegen.
Besonders problematisch ist die von der EU-Kommission im Vorschlag zur sozialen Säule propagierte formelle oder technische Bindung des Rentenalters an die Entwicklung der Lebenserwartung. Sie relativiert nicht nur die bereits ins Spiel gebrachten „Mindesteinkommensregelungen für ältere Menschen“. Sie ist darüber hinaus ein gutes Beispiel für eine Ausrichtung der Strategie, die sich keineswegs nur an der Förderung sozialer Rechte oder dem Primat einer „Aufwärtskonvergenz“ orientiert.
In der Sache selbst führt die von der EU-Kommission vorgeschlagene automatische Kopplung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung zu einseitigen Fixierungen. Der demografisch bedingten Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlern und Rentnern kann mit verschiedenen Maßnahmen Rechnung getragen werden. Letztlich aber ist ausschlaggebend: Die Entscheidung, wie die Ziele „Tragfähigkeit und Angemessenheit der nationalen Rentensysteme“ unter den jeweiligen Bedingungen effektiv und effizient realisiert werden können, ist auf der Ebene der Mitgliedstaaten und nicht auf Ebene der EU zu treffen.
Soweit die EU-Kommission das geschlechterbedingte Vorsorgegefälle anspricht, so beruht dies jedenfalls nicht auf angeblichen Mängeln des Rentensystems, eher im Gegenteil: Durch die geschlechtsneutrale Kalkulation der Renten erhalten Frauen durch ihre im Durchschnitt höhere Lebenserwartung eher höhere Rentengesamtleistungen als Männer. Wenn dennoch die Höhe der Rente in vielen Fällen niedriger ist, so beruht dies vor allem auf der unterschiedlichen Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen sowie auf geschlechtsspezifischen Unterschieden bei den Arbeitsentgelten. Die Rentensysteme können nur ergänzend tätig werden, indem sie in einem gewissen Umfang Erziehung- oder Betreuungsgutschriften anbieten. Über das Ob, den Umfang und das „Wie lange?“ entscheiden die Mitgliedstaaten.
Wichtiger denn je: voneinander lernen
Auf die sozialen Sicherungssysteme in ganz Europa kommt eine ganze Reihe von Herausforderungen zu, auf die die Mitgliedstaaten – jeweils auf ihre Weise – Antworten suchen. Hier wird es besonders wichtig sein, durch den verstärkten Einsatz von „Peer-Review-Verfahren“ voneinander zu lernen. Systematische Vergleiche und ein Austausch vorbildhafter Verfahren in den Mitgliedstaaten sind sinnvoll, damit sie sich gegenseitig Impulse bei der schrittweisen Entwicklung zu moderneren (besseren) Sozialschutzsystemen geben. Da länderübergreifende Vergleiche im Hinblick auf ihre Aussagekraft und Zuverlässigkeit immer mit Mängeln behaftet sein werden, taugen sie nur eingeschränkt als „Blaupause“ für nationale Reformen. Um politische Fehlschlüsse zu vermeiden, sind die Ergebnisse systematischer Vergleiche unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Besonderheiten zu interpretieren, bevor auf der zuständigen nationalen Ebene politische Schlussfolgerungen gezogen werden.