Magazine ed*
ed* Nr. 01/2017

Die Europäische Säule ­sozialer Rechte –
viele Fragezeichen aus Sicht der Deutschen Sozial­versicherung

ed* Nr. 01/2017 – Kapitel 4

 

Die beschriebene enge Ableitung der sozialen Säule aus dem Projekt „Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“ ist Anlass genug, sie auch an diesem Maßstab zu messen und die einzelnen Elemente kritisch auf den Prüfstand zu stellen: Respektiert der Entwurf einer Europäischen Säule in seiner weiteren Entwicklung tatsächlich – wie behauptet – das Subsidiaritätsprinzip, d. h. die mitgliedstaatlichen Kompetenzen auf dem Feld der Sozialpolitik? In welchem Maße ist die Verwirklichung der Säule auf neue zwischenstaatliche Transfermechanismen bzw. eine gemeinschaftliche Finanzierung angewiesen? Ist es vor diesem Hintergrund realistisch, eine „Aufwärtskonvergenz“ anzukündigen, d. h. eine Entwicklung, in der einige gewinnen, ohne dass andere verlieren? 

 

Die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung wenden sich daher in ihrer gemeinsamen Antwort gegen Ansätze einer Kompetenzerweiterung der europäischen Ebene4. Gleichzeitig werden einzelne Positionen des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Katalogs der sogenannten „Prinzipien“ kritisch kommentiert.  

 

Aus Sicht der Deutschen Sozialversicherung bietet die Initiative der EU-Kommission Chancen, die soziale Komponente Europas und seiner Mitgliedstaaten gegenüber rein fiskalischen und effizienzbetonten Prioritäten zu stärken. Gleichzeitig werden jedoch verbindliche europäische Mindeststandards und Benchmarks aus mehreren Gründen abgelehnt. Europa würde sich Kompetenzen anmaßen, die es nicht hat und auch nicht haben sollte. Die Ausgestaltung von Sozialpolitik und Sozialversicherung ist aus guten Gründen in erster Linie eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgangslage, das Selbstverständnis und die historische Prägung sowie die politischen Präferenzen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Das Gleiche gilt für die finanzielle Leistungsfähigkeit. Deshalb wäre es falsch, quantitativ messbare Standards und Benchmarks unterschiedslos auf alle Mitgliedstaaten anzuwenden. Und schließlich sind potenzielle europäische Vorgaben nicht nur Wohltaten für die Bürger, sondern ambivalent. Die von der EU-Kommission formulierten Prinzipien, die Ziele und politischen Prioritäten werden auch an Bedingungen geknüpft und können damit ohne Weiteres hinter den bereits erreichten Fortschritten der Mitgliedstaaten zurückbleiben.  

Wandel der Arbeitswelt: Anpassungsbedarf in der sozialen Absicherung?

Die EU-Kommission weist zu Recht auf die mit dem Wandel der Arbeitswelt verbundenen Veränderungen und daraus resultierenden Anpassungen in der sozialen Sicherung hin. Neue Arbeitsformen wie Crowdworking oder Plattformarbeit sowie der technologische Fortschritt haben sicherlich ihre Vorteile, dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Schutzbedürfnisse der ­Menschen die gleichen bleiben. Dies stellt vor allem die Absicherung bestimmter Gruppen selbstständig Erwerbstätiger vor neue Herausforderungen, nicht zuletzt auch in Deutschland.