Die COVID-19- Krise aus Sicht der Selbständigen
ed* Nr. 02/2020 – Kapitel 3
Die COVID-19- Krise aus Sicht der Selbständigen
Die Ausgangslage der Selbständigen unterscheidet sich im Hinblick auf ihre soziale Absicherung deutlich von der abhängig Beschäftigter. Während die meisten abhängig Beschäftigten durch die Sozialversicherung und sonstigen Systeme der sozialen Sicherheit gegen Lohnausfälle geschützt sind, trifft dies auf Selbständige in der Regel nicht zu.
Die Mitgliedstaaten versuchen unter enormen finanziellen Anstrengungen, Arbeitslosigkeit zu verhindern. Teilweise geschieht dies durch Zuwendungen an Unternehmen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, vor allem aber durch die Aktivierung und Aufstockung von Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld.
Manchen „atypisch“ Beschäftigten, vor allem aber den selbständig Erwerbstätigen, nützen diese Instrumente wenig. Insbesondere in den Systemen, die unerwartete und vorübergehende Einkommensverluste ausgleichen, sind sie oft nicht oder nur schwach abgesichert. In der Regel kommen sie nicht in den Genuss von Kurzarbeitergeld.
Maßnahmen und Politik-Empfehlungen
Es ist daher folgerichtig, dass SURE explizit den Schutz der Selbständigen einbezieht, um Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste zu verringern.
In den Maßnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene lassen sich bei der sozialen Sicherung Selbständiger gegen das Risiko plötzlicher Einkommensausfälle gewisse Strukturen erkennen. Wo Selbständige schon vor COVID-19 Zugang zu einer Art Arbeitslosenversicherung hatten, wurden die Zugangsvoraussetzungen für den Leistungsbezug gelockert, die Leistungen ausgeweitet (Italien, Spanien) oder sogar zusätzliche Leistungen einführt, wie zum Beispiel in Luxemburg, der Schweiz, der Slowakei, Slowenien, der Tschechische Republik und in Polen.
In Frankreich und Belgien erhielten Selbständige bereits vor der Corona-Krise eine Art „Arbeitslosengeld“ im Falle einer Insolvenz. Dies kann nun unter bestimmten Voraussetzungen auch bei COVID-19 bedingter Einstellung des Geschäftsbetriebs in Anspruch genommen werden. In Belgien müssen aber zuvor Sozialabgaben entrichtet worden sein. Zudem gibt es Hilfsprogramme der Regionalregierungen, die unter anderem auch Zuschüsse an Selbständige enthalten, die ihre Geschäfte schließen mussten.2 Frankreich unterhält einen mit sieben Milliarden Euro ausgestatteten Solidaritätsfonds zur Unterstützung kleiner Unternehmen.3
In Ländern, in denen Selbständige vor COVID-19 nicht durch eine Arbeitslosenversicherung geschützt waren, wurden in der Regel nicht einfach die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden Regelungen übernommen.4 In einigen Ländern wird eine – meist niedrige – Pauschalzahlung geleistet.5 Andere Länder kompensieren die Umsatz-bzw. Einkommenseinbußen, allerdings nur bis zu einer bestimmten Obergrenze.6 Gelegentlich findet man auch für Selbständige eine staatliche Erstattung der Sozialabgaben so zum Beispiel in Estland und Griechenland, oder sogar einen (teilweisen) Erlass, wie in der Tschechischen Republik.
Schwierig ist die Lage für Selbständige, die informell tätig waren, da in den meisten Fällen ein Nachweis der Einkommensverhältnisse vor dem Ausbruch von COVID-19 gefordert wird, um in den Genuss der Unterstützung zu kommen.7 Teilweise ist eine vorangegangene Registrierung der Tätigkeit erforderlich.8 Oder die Zahlung ist an die Bedingung der Mitgliedschaft in der Sozialversicherung geknüpft.9
Gezielte zusätzliche Maßnahmen zur Absicherung Selbständiger gegen krankheitsbedingte Einkommensausfälle während der COVID-19-Krise lassen sich nur schwer ausfindig machen. Dabei hätte Anlass genug bestanden, „nachzubessern“ – allein schon, um zu verhindern, dass Selbständige trotz COVID-19-Symptomen weiterarbeiten. Es besteht vielfach nur eine unzureichende oder keine Abdeckung. Verpflichtend ist der Zugang zu Krankengeld nur in 15 der 27 Mitgliedstaaten der EU.10 Im Hinblick auf Einkommensausfälle wegen Krankheit von Selbständigen mit Betreuungspflichten konstatiert die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen (Eurofound), dass neu eingeführte oder angepasste Unterstützungssysteme ausgeweitet worden seien, um bisher nicht geschützte Personengruppen, wie Selbständige, abzudecken.11
„Lessons learnt“?
Schon in der Finanzkrise 2008 haben fast alle Mitgliedstaaten eine Art „Kurzarbeitergeld“ eingeführt, um einen massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen zu vermeiden. Insoweit wurden „Lektionen gelernt“. Soweit Mitgliedstaaten es versäumt haben, ihre Staatshaushalte im Wiederaufschwung resilienter zu machen und nun nicht über ausreichende Mittel verfügen, um arbeitsmarktpolitische Hilfsmaßnahmen wie Kurzarbeit umfassend umzusetzen, kann das 100 Milliarden Euro schwere europäische Rettungsprogramm SURE unterstützen. Es ist allerdings schuldenfinanziert, also letztlich keine Blaupause für die Zukunft.
Bei Selbständigen ist der Sozialschutz lückenhaft. Daher wurden sie in die verschiedenen “Schutzschirme“ einbezogen, allerdings oft auf einem deutlich niedrigeren Niveau als abhängig Beschäftigte.
Perspektivisch stellt sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten auch nach der Krise die eingeschlagenen Wege zum Schutz der Selbständigen fortführen werden und die zunächst zeitlich befristet eingeführten Leistungselemente „regularisieren“ und in die Systeme der sozialen Sicherheit überführen. Die Aussichten hierfür scheinen eher schlecht. Die Mitgliedstaaten verstehen ihre Unterstützungsleistungen als vorübergehende Hilfen. Zweifel an der Fortführung der Hilfen nach der Krise haben aber noch einen anderen Grund: Die Programme sind schuldenfinanziert und damit nicht nachhaltig.